- Zivilrecht
- Allgemeiner Teil des BGB
- Willenserklärung
Abgabe
Welche Voraussetzungen hat die Abgabe einer Willenserklärung?
Die Abgabe einer Willenserklärung ist ein entscheidender Schritt hin zu ihrem Wirksamwerden. Unter welchen Voraussetzungen eine Willenserklärung als wirksam abgegeben gilt, hängt davon ab, ob sie empfangsbedürftig oder nicht empfangsbedürftig ist.
Eine nicht empfangsbedürftige Willenserklärung ist relativ einfach abzugeben. Hier reicht es aus, dass die Willensäußerung erkennbar endgültig ist. Der Erklärende muss also nur deutlich machen, dass sein Wille feststeht. Ein klassisches Beispiel wäre ein Testament: Wenn jemand handschriftlich niederschreibt, wem er sein Vermögen vermachen möchte, und diese Erklärung komplett fertigstellt, ist sie abgegeben. Es spielt keine Rolle, ob die Erklärung zu diesem Zeitpunkt einer bestimmten Person bekannt gemacht wird. Die Abgabe erfolgt allein durch die fertige und endgültige Willenserklärung.
Anders sieht es bei einer empfangsbedürftigen Willenserklärung aus. Hier reicht eine bloße Willensäußerung nicht aus. Zusätzlich muss der Erklärende seine Erklärung willentlich in den Verkehr bringen. Die Erklärung muss aus der Sphäre des Erklärenden hinausgelangen. Das bedeutet, er muss sie so auf den Weg schicken, dass sie den Empfänger erreichen kann. Nehmen wir etwa das Beispiel eines Angebots zum Abschluss eines Kaufvertrags: Du möchtest jemandem ein Auto verkaufen und schreibst das Angebot in eine E-Mail. Erst wenn du diese E-Mail auch abschickst, also auf senden klickst, hast du die Willenserklärung tatsächlich abgegeben, weil du aktiv dafür gesorgt hast, dass sie den Empfänger erreichen kann.
Abgabe einer Willenserklärung: Voraussetzungen abhängig davon, ob empfangsbedürftig oder nicht
- Nicht empfangsbedürftige Willenserklärung: Erkennbar endgültige Willensäußerung genügt
- Empfangsbedürftige Willenserklärung: Zusätzlich willentliches in den Verkehr bringen erforderlich
Was versteht man unter einer abhanden gekommenen Willenserklärung? Ist sie wirksam?
Stell dir vor, du bist Geschäftsführer oder Geschäftsführerin eines Unternehmens und hast ein Bestellformular vorbereitet, das noch nicht abgeschickt werden sollte. Später entscheidest du dich gegen die Bestellung. Deine Sekretärin findet aber das Formular, hält es für versandfertig und schickt es ohne dein Wissen ab.
In solchen Fällen spricht man von einer „abhanden gekommenen Willenserklärung“. Eine abhanden gekommene Willenserklärung ist eine Willensäußerung, die unwillentlich in den Verkehr gelangt. Das bedeutet, dass der Erklärende nicht bewusst und gewollt dafür gesorgt hat, dass die Erklärung nach außen gelangt. Im Beispiel mit dem Bestellformular wollte der Geschäftsführer nicht, dass das Formular abgeschickt wird. Da es aber trotzdem abgeschickt wurde, stellt sich die Frage, ob diese Willenserklärung als wirksam abgegeben gilt. Dies ist umstritten.
Grundsätzlich setzt die Abgabe einer Willenserklärung voraus, dass der Erklärende sie willentlich in den Rechtsverkehr bringt. Bei einer abhanden gekommenen Willenserklärung fehlt es jedoch an dieser willentlichen Entäußerung. In unserem Beispiel hat der Geschäftsführer die Erklärung weder selbst abgeschickt noch bewusst zugelassen, dass sie verschickt wird. Daher ist eine solche Erklärung nach einer Meinung nicht wirksam abgegeben und kann keinen Vertragsschluss begründen. Allenfalls besteht eine Haftung für den sogenannten Vertrauensschaden. Diese ergibt sich aus dem Prinzip des Vertrauensschutzes, das über die Grundsätze der culpa in contrahendo (c.i.c.) oder analog § 122 BGB hergeleitet wird.
Nach einer anderen Meinung handelt es sich um einen Fall des Fehlens des Erklärungsbewusstseins. Die Willenserklärung ist zunächst wirksam, es besteht aber die Möglichkeit, die Erklärung analog § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB anzufechten, da er sich über die rechtliche Tragweite seines Verhaltens geirrt hat. Auch in diesem Fall haftet der Erklärer für den ggf. entstandenen Vertrauensschaden nach § 122 BGB. Diese Regelung ist interessengerechter und daher vorzugswürdig, da sie dem Erklärenden das Geschäft nicht "aus der Hand schlägt", ihm aber erlaubt, sich von der Erklärung zu lösen, ohne dass der Empfänger völlig schutzlos bleibt.
Kurz gesagt: Bei einer abhanden gekommene Willenserklärung fehlt es am Erklärungsbewusstsein. Sie ist wirksam, aber anfechtbar.
Abhanden gekommene Willenserklärung: Unwillentlich in Verkehr gelangte Willensäußerung, z.B. vorab ausgefülltes Bestellformular nicht von Geschäftsherrn, sondern ohne dessen Wissen von seiner Sekretärin abgeschickt
- Keine willentliche Entäußerung, daher nicht wirksam abgegeben ⇨ Kein Vertragsschluss, aber Haftung für Vertrauensschaden aus c.i.c. (bzw. § 122 BGB analog)
- Fall des Fehlens von Erklärungsbewusstsein ⇨ Willenserklärung wirksam, aber analog § 119 I Alt. 2 BGB anfechtbar (ebenfalls Haftung für Vertrauensschaden aus § 122)
- Interessengerecht, da Anfechtungsmöglichkeit für Erklärer (kann sich lösen, aber Geschäft wird ihm nicht „aus der Hand geschlagen“) und gleichzeitig auch Vertrauensschutz des Empfängers durch § 122 BGB
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Sekretärin S findet auf dem Schreibtisch ihrer Chefin C ein bereits ausgefülltes und unterschriebenes Bestellformular für Büromaterial bei Händler H. Sie gibt das Formular zur Post. C hat es sich unterdessen anders überlegt und möchte nicht mehr bestellen. Ist die Bestellung wirksam?
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