Logo

Allgemeines Zurückbehaltungsrecht, §§ 273, 274 BGB

Allgemeines ZurückbehaltungsrechtAZBZug um Zug
Aktualisiert vor 7 Tagen

Was versteht man unter dem allgemeinen Zurückbehaltungsrecht?

Stell dir vor, du hast mit einem Freund vereinbart, dass du sein Fahrrad kaufst. Dein Freund ficht den Kaufvertrag nach Abwicklung wirksam an. Doch als du ihm das Fahrrad zurückgeben willst, weigert er sich plötzlich, den Kaufpreis zurück zu zahlen. Musst du ihm das Fahrrad trotzdem geben? Hier kommt das allgemeine Zurückbehaltungsrecht ins Spiel.

Das allgemeine Zurückbehaltungsrecht nach den §§ 273 und 274 BGB ist ein Leistungsverweigerungsrecht. Es erlaubt einer Partei, ihre Leistung zurückzuhalten, solange der andere Teil eine fällige Gegenleistung aus demselben rechtlichen Verhältnis nicht erbringt. Das liegt daran, dass es als treuwidrig angesehen wird, eine Leistung einzufordern, ohne selbst die geschuldete Gegenleistung zu erbringen.

Es handelt sich dabei um eine sogenannte dilatorische Einrede. Das bedeutet, dass die Leistungsverpflichtung nicht endgültig gehemmt wird, sondern nur solange, bis die andere Partei ihren Teil der Verpflichtung erfüllt. In der Praxis sorgt das Zurückbehaltungsrecht also dafür, dass der Leistungsaustausch nach dem Prinzip „Zug um Zug“ gegen Erhalt der Gegenleistung erfolgt. Das heißt, niemand muss in Vorleistung gehen, sondern beide Parteien müssen gleichzeitig leisten.

Im Beispiel mit dem Fahrrad bedeutet das: Du kannst die Herausgabe des Fahrrads verweigern, solange dein Freund nicht den Kaufpreis zurückzahlt. Umgekehrt könnte auch er sich weigern zu zahlen, solange du das Fahrrad nicht herausgibst. Erst wenn beide bereit sind, ihre jeweiligen Leistungen zu erfüllen, kommt es zur vollständigen Abwicklung des Geschäfts.

Zentral ist also, dass das allgemeine Zurückbehaltungsrecht ein Schutzmechanismus ist, der verhindert, dass eine Partei ihre Leistung erbringen muss, ohne die vereinbarte Gegenleistung zu erhalten.

Merke

Allgemeines Zurückbehaltungsrecht (AZB), §§ 273, 274 BGB

  • Leistungsverweigerungsrecht, bis eigener Anspruch aus demselben rechtlichen Verhältnis erfüllt: Weil es treuwidrig wäre, Leistung zu verlangen, ohne Gegenleistung zu erbringen
  • Dilatorische Einrede, um nur Zug um Zug gegen Erhalt der Gegenleistung zu leisten
  • Leistungsaustausch Zug um Zug: Ein Teil hat nur zu leisten, wenn auch anderer Teil leisten kann; d.h. keine Partei muss in Vorleistung gehen

Unter welchen Voraussetzungen steht dem Schuldner das allgemeine Zurückbehaltungsrecht zu?

Unter welchen Voraussetzungen genau steht dem Schuldner das allgemeine Zurückbehaltungsrecht zu?

Zunächst müssen gegenseitige Ansprüche bestehen, das heißt wechselseitige Ansprüche aus demselben Schuldverhältnis. Der Gläubiger eines Anspruchs ist jeweils Schuldner des anderen Anspruchs und umgekehrt. Anders als bei der Aufrechnung nach §§ 387 ff. BGB ist hier keine Gleichartigkeit der Forderungen erforderlich. Während die Aufrechnung etwa zwei Geldforderungen erfordert, kann das Zurückbehaltungsrecht auch dann greifen, wenn beispielsweise eine Kaufpreisforderung der Pflicht zur Übergabe eines Gegenstands gegenübersteht.

Der zweite Prüfungspunkt ist die Konnexität der Ansprüche. Die Forderungen müssen aus demselben rechtlichen Verhältnis stammen. Ein einheitliches Lebensverhältnis genügt hier. Das bedeutet, sie müssen so miteinander verbunden sein, dass es nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB nicht gerechtfertigt wäre, eine davon ohne Rücksicht auf die andere durchzusetzen.

Das Zurückbehaltungsrecht setzt außerdem voraus, dass der Gegenanspruch des Schuldners tatsächlich besteht, fällig und durchsetzbar ist. Das bedeutet, dass keine Einrede der Durchsetzbarkeit entgegenstehen darf. Allerdings ist die Verjährung einer Forderung nicht hinderlich, wenn der Anspruch nicht bereits vor Entstehung des Zurückbehaltungsrechts verjährt war. Das regelt § 215 BGB. In der Klausur ist dieser Prüfungspunkt oft das Einfallstor, für eine mal mehr mal weniger umfangreiche Inzidentprüfung möglicher Gegenansprüche. Wenn zum Beispiel ein Käufer den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung anficht und die Rückzahlung des Kaufpreises verlangt, muss an dieser Stelle geprüft werden, ob der Verkäufer einen Gegenanspruch auf Rückgabe der Kaufsache hat. Denn falls dieser noch nicht erfüllt wurde, kann er sich auf ein Zurückbehaltungsrecht berufen und der Anspruch des Käufers ist nicht durchsetzbar - bzw. nur Zug um Zug gegen Gegenleistung.

Schließlich darf das Zurückbehaltungsrecht auch nicht ausgeschlossen sein. Ein Ausschluss kann sich aus einer vertraglichen Vereinbarung der Parteien ergeben. In Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist dies jedoch nur eingeschränkt möglich gemäß § 309 Nr. 2b BGB. Auch gesetzliche Regelungen können das Zurückbehaltungsrecht untersagen, etwa in den §§ 175 und 570 BGB. Ebenso kann ein bestehendes Aufrechnungsverbot auf das Zurückbehaltungsrecht übertragbar sein, zum Beispiel eine analoge Anwendung des § 393 BGB. Schließlich kann auch die Natur des Schuldverhältnisses oder der Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB einem Zurückbehaltungsrecht entgegenstehen, insbesondere wenn es zu einer unverhältnismäßigen Benachteiligung des Gläubigers führen würde.

Merk dir: Das allgemeine Zurückbehaltungsrecht setzt gegenseitige und konnexe Forderungen voraus, wobei der Gegenanspruch fällig und durchsetzbar sein muss und kein Ausschluss bestehen darf.

Merke

Voraussetzungen

  1. Gegenseitige Ansprüche: Wechselseitige Forderungen aus selbem Schuldverhältnis; Gläubiger eines Anspruchs jeweils Schuldner des anderen

Gleichartigkeit (z.B. beides Geld) ⇨ dann eher Aufrechnung, §§ 387 ff. BGB in Betracht

  1. Konnexität der Ansprüche: Aus demselben rechtlichen Verhältnis; einheitliches Lebensverhältnis genügt (wenn nach Treu und Glauben gem. § 242 BGB Anspruch nicht ohne Rücksicht auf anderen durchsetzbar)
  2. Gegenanspruch besteht, ist durchsetzbar und fällig: Keine Einrede möglich

Verjährung nicht hindernd, § 215 BGB: Wenn nicht verjährt vor Entstehung des Zurückbehaltungsrechts

  1. Kein Ausschluss
    • Aus Abrede der Parteien
      • In AGB nur eingeschränkt möglich, § 309 Nr. 2b BGB
    • Aus Gesetz, z.B. §§ 175, 570 BGB
    • Aus Aufrechnungsverbot, wenn nach Sinn und Zweck übertragbar, z.B. analog § 393 BGB
    • Aus Natur des Schuldverhältnisses oder Treu und Glauben gem. § 242 BGB (insb. bei Unverhältnismäßigkeit)

Wie kann der Gläubiger die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts abwenden?

Stell dir vor, jemand schuldet dir Geld, aber du bist gleichzeitig verpflichtet, ihm eine Sache herauszugeben. Du könntest in diesem Fall dein Zurückbehaltungsrecht geltend machen und die Herausgabe verweigern, bis deine Forderung erfüllt ist. Doch was, wenn dein Schuldner die Sache dringend benötigt? Das Gesetz gibt ihm die Möglichkeit, dein Zurückbehaltungsrecht abzuwenden.

Das geschieht durch eine sogenannte Sicherheitsleistung nach § 273 Abs. 3 BGB. Dabei muss der Schuldner den Wert der Forderung, die du gegen ihn hast, als Sicherheit leisten. Die gängigste Form ist die Hinterlegung des entsprechenden Betrags bei Gericht nach den Vorschriften der §§ 232 ff. BGB. Dadurch wird sichergestellt, dass deine Forderung nicht untergeht oder uneinbringlich wird, falls sich später herausstellt, dass du tatsächlich einen Anspruch hast.

Ein Beispiel: Du hast ein Fahrrad zur Reparatur angenommen, doch der Kunde weigert sich, die Reparaturkosten zu zahlen. Weil du noch einen Anspruch auf Zahlung hast, hältst du das Fahrrad zurück. Der Kunde kann aber dein Zurückbehaltungsrecht aushebeln, indem er den geforderten Betrag bei Gericht hinterlegt. Damit ist deine Sicherheit gewahrt, und du musst das Fahrrad herausgeben.

Präge dir ein: Das Zurückbehaltungsrecht kann durch Sicherheitsleistung abgewendet werden.

Merke

Abzuwenden durch Sicherheitsleistung, § 273 III BGB: Hinterlegung des Werts der streitigen Gegenforderung bei Gericht gem. §§ 232 ff. BGB

Teste dein Wissen

Frage 1/3

Dieb D stiehlt das Fahrrad des A und veräußert es an den gutgläubigen B. Für 200€ lässt B die defekten Bremsen des A austauschen. Hat A einen durchsetzbaren Anspruch auf Herausgabe, wenn B Ersatz verlangt?

Ja, gem. § 985 BGB.
Nein, gem. § 1000 BGB.
Nein, gem. § 273 II BGB.
Nein, gem. § 1001 BGB.
Logo

Deine Lernplattform für mehr Verständnis im Jurastudium

4.9 von 5 Sternen aus 60+ Google-Bewertungen

Lerne mit weiteren Inhalten aus dem Zivilrecht und zum Thema Schuldrecht Allgemeiner Teil.
Erlebe eine neue Lernerfahrung mit kompakten, verlinkten Inhalten in einer interaktiven Plattform.
Spare wertvolle Zeit
mit kompakten Inhalten im Zivilrecht, Strafrecht & Öffentlichen Recht
Entwickle Systemverständnis
durch interaktive Verlinkungen zwischen allen Themen
Trainiere effizient die Anwendung
mit Multiple-Choice-Fallfragen und Fallbeispielen
Lerne auch unterwegs
mit nahtlosem Wechsel zwischen allen Geräten

Das sagen unsere Nutzer

Die Struktur, das Design und der Inhalt der App sind hervorragend. Während meiner Recherche habe ich viele juristische Seiten besucht und sogar einen Kurs bei Jura Academy absolviert. Ehrlich gesagt gefällt mir deine Seite am besten.

Ziad T.

Jurastudent

Z
Lernkarten
2.000+
Nutzer
1.000+
Übungsfragen
2.800+