- Zivilrecht
- Allgemeiner Teil des BGB
- Willenserklärung
Auslegung, §§ 133, 157 BGB
Nach welchen Kriterien sind Willenserklärungen auszulegen? Gelten Unterschiede für empfangsbedürftige und nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen?
Was bedeutet es eigentlich, eine Willenserklärung „auszulegen“? Im Kern geht es darum, den genauen Inhalt und die Bedeutung einer Willenserklärung zu ermitteln. Dabei stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien man dies tun sollte. Und vor allem: Macht es dabei einen Unterschied, ob die Willenserklärung empfangsbedürftig ist oder nicht?
Beginnen wir mit den nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen. Diese entfalten ihre Wirkung unabhängig davon, ob jemand sie wahrnimmt. Typische Beispiele sind ein Testament oder eine Auslobung, etwa wenn jemand öffentlich eine Belohnung für das Auffinden eines verlorenen Gegenstands aussetzt. Nach § 133 BGB ist hier allein der Wille des Erklärenden entscheidend. Es geht also darum, was die Person wirklich gemeint hat – selbst wenn das nach außen hin vielleicht nicht ganz klar ausgedrückt wurde. Der innere Wille des Erklärenden steht somit im Mittelpunkt der Auslegung.
Anders ist die Rechtslage bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen, wie sie im Alltag viel häufiger vorkommen. Dazu zählen beispielsweise Vertragsangebote oder Kündigungen. Diese Willenserklärungen sind darauf angewiesen, dass sie einem bestimmten Empfänger zugehen und von diesem verstanden werden können. Hier greifen § 133 und § 157 BGB gemeinsam und legen fest, dass die Auslegung aus der Sicht eines objektiven Dritten erfolgt, der sich in der Rolle des Empfängers befindet. Man spricht vom sogenannten „objektiven Empfängerhorizont“. Wichtig ist dabei, was ein verständiger Dritter in der Position des Empfängers aus der Erklärung nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen durfte – und nicht, was der Erklärende subjektiv gemeint hat. Der innere Wille spielt also keine Rolle, solange er nicht auch nach außen erkennbar geworden ist.
Ein einfaches Beispiel: Wenn jemand sagt, „Ich kaufe dein Fahrrad für 500 Euro“, dann wird diese Erklärung im Rahmen eines objektiven Empfängerhorizonts als Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrages über das Fahrrad des Verkäufers verstanden. Es kommt nicht darauf an, ob der Erklärende in seinem Inneren vielleicht an ein ganz anderes Fahrrad gedacht hat. Entscheidend ist, was der Empfänger – in diesem Fall der Fahrradeigentümer – nach den Umständen verstehen durfte.
Während bei nicht empfangsbedürftigen Erklärungen der Schutz und die Interessen des Erklärenden im Vordergrund stehen, werden bei empfangsbedürftigen Erklärungen im Sinne der Rechtssicherheit Schutz und Interessen des Empfängers betont. Merke dir: Bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen kommt es auf den objektiven Empfängerhorizont an, bei nicht empfangsbedürftigen nur auf den Willen des Erklärenden.
Maßstab der Auslegung
- Nicht empfangsbedürftige Willenserklärung (z.B. Testament, Auslobung), § 133 BGB: Nur Wille des Erklärers maßgeblich
- Empfangsbedürftige Willenserklärung
- Nach objektivem Empfängerhorizont, §§ 133, 157 BGB: Sicht eines objektiven Beobachters maßgeblich, z.B. unbeteiligter Dritter in Rolle des Erklärungsempfängers
- Innerer Wille unbeachtlich, es geht um das nach außen Erklärte (tragendes Prinzip des BGB)
Nach welchen Kriterien sind Willenserklärungen auszulegen, wenn der Inhalt unklar ist?
Bei der Auslegung von Willenserklärungen ist im Zweifel dasjenige gewollt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig erscheint und der Interessenlage der Beteiligten entspricht. Das bedeutet, dass die Auslegung die Interessen beider Parteien berücksichtigen muss, um zu einem ausgewogenen und fairen Ergebnis zu kommen.
Ein Beispiel: Wenn ein Arbeitgeber in einem Arbeitsvertrag von einer „monatlichen Zahlung von 2.000 €“ spricht, aber nicht angibt, ob damit der Brutto- oder Nettobetrag gemeint ist, wird man im Zweifel davon ausgehen, dass der vernünftigere und üblichere Fall gemeint war. Im Arbeitsleben werden üblicherweise Bruttobeträge angegeben. Dies ist auch vernünftig, da der Nettobetrag auch von subjektiven Faktoren aufseiten des Arbeitnehmers abhängt, die der Arbeitgeber gar nicht kennen kann, etwa außergewöhnliche Belastungen wie Kosten, die durch Krankheiten entstehen.
Präge dir ein: Auslegung ist die Suche nach dem vernünftigen Willen hinter der Erklärung.
Auslegungsgrundsatz: Im Zweifel dasjenige gewollt, was nach Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig und Interessenlage entsprechend
Was ist unter ergänzender Vertragsauslegung zu verstehen? Wann kommt sie zur Anwendung?
Die ergänzende Vertragsauslegung ist ein besonderes Instrument, das in der Praxis immer dann zum Einsatz kommt, wenn eine unerwartete Lücke im Vertrag auftritt. Aber was bedeutet das genau? Stellen wir uns vor, zwei Parteien haben einen Vertrag geschlossen, in dem scheinbar alles geregelt ist. Doch im Laufe der Vertragsdurchführung zeigt sich, dass ein Fall eingetreten ist, den die Parteien nicht bedacht und daher nicht geregelt haben. Diese sogenannte planwidrige Regelungslücke erfordert eine Lösung, und genau hier greift die ergänzende Vertragsauslegung.
Der Kern der ergänzenden Vertragsauslegung ist die Frage: Was hätten die Vertragsparteien vereinbart, wenn ihnen bei Vertragsschluss dieser noch ungeregelte Punkt bewusst gewesen wäre? Anders gesagt, es geht darum, den hypothetischen rechtsgeschäftlichen Willen der Parteien zu ermitteln. Dabei wird insbesondere der Zweck des Vertrags herangezogen, denn der gibt Aufschluss darüber, welche Interessen die Parteien mit ihrer Vereinbarung verfolgt haben. Man fragt also: Was hätten sie nach ihren damaligen Planvorstellungen zur Schließung der Lücke geregelt? Wichtig ist hierbei, dass nicht einfach der Wille einer Partei entscheidend ist, sondern auf den gemeinsamen Willen abzustellen ist, den die Parteien bei redlicher Überlegung gehabt hätten.
Ein Beispiel: Zwei Parteien schließen einen Werkvertrag über den Bau eines Hauses ab, in dem detailliert geregelt ist, welche Materialien verwendet und welche Fristen eingehalten werden sollen. Der Vertrag enthält jedoch keine Regelung dazu, wer die Kosten für unvorhergesehene Preissteigerungen bei Baumaterialien tragen muss. Wenn solche Kosten plötzlich entstehen, müsste durch ergänzende Vertragsauslegung ermittelt werden, ob die Parteien bei Vertragsschluss wohl vereinbart hätten, dass der Bauherr oder der Unternehmer diese Mehrkosten übernimmt.
Bevor jedoch nach der ergänzenden Vertragsauslegung gefragt wird, ist zunächst das dispositive Recht zu prüfen, also die gesetzlichen Regelungen. Diese haben Vorrang vor der ergänzenden Vertragsauslegung, denn sie stellen bereits eine vorgesehene Lösung mit einer Wertung des Gesetzgebers für viele typische Vertragslücken dar. Erst wenn das dispositive Recht keine passende Antwort liefert, ist Raum für die ergänzende Vertragsauslegung.
Kurz gesagt: Die ergänzende Vertragsauslegung schließt planwidrige Lücken im Vertrag, indem der hypothetische Willen der Parteien unter Berücksichtigung des Vertragszwecks ermittelt wird.
Ausnahmsweise auch ergänzende Vertragsauslegung über Vertragsinhalt hinaus, wenn planwidrige Regelungslücke im Vereinbarten
- Hypothetischer rechtsgeschäftlicher Wille zu ermitteln: Was Parteien nach im Vereinbarten zutage tretenden Planvorstellungen zur Schließung der Lücke unternommen hätten; insb. aus Zweck des Vertrags
- Vorrang des dispositiven Rechts
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Die alte A drückt sich meist geschwollen, umständlich und unpräzise aus. Eines Tages bestellt sie per Brief einen neuen Fernseher. Am nächsten Tag schreibt sie ihr Testament. Beides Mal hantiert sie so ungeschickt mit der Sprache, dass man sie als Empfänger falsch verstehen muss. Was ist jeweils der Maßstab, um seine Willenserklärung auszulegen?
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