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Dissens, §§ 154, 155 BGB
Was versteht man unter einem Dissens?
Stell dir vor, zwei Personen verhandeln über einen Vertrag, aber sie reden aneinander vorbei. Der eine denkt, es geht um Sache X, der andere meint Sache Y. Hier liegt ein Dissens vor. Ein Dissens bedeutet, dass sich die Parteien nicht über alle wesentlichen Punkte des Vertrags einig sind. Genauer gesagt fehlt die Übereinstimmung zwischen Angebot und Annahme. Man unterscheidet hier die Unterformen Totaldissens und partieller Dissens, die sich in ihren Rechtsfolgen unterscheiden.
Das Gegenstück zum Dissens ist der Konsens. Beim Konsens stimmen beide Willenserklärungen vollständig überein, sodass ein Vertrag wirksam geschlossen wird.
Es gibt auch Fälle, in denen die Parteien sich eigentlich einig sind, aber versehentlich eine falsche Bezeichnung verwenden – zum Beispiel wenn beide „Peugeot“ sagen, aber eigentlich „Renault“ meinen. Man nennt die Konstellation „übereinstimmende Falschbezeichnung" (oder auf Latein: "falsa demonstratio"). In diesem Fall liegt trotzdem ein Konsens vor, weil beide dasselbe wollten, nur falsch bezeichnet haben.
Dissens: Einigungsmangel beim Vertragsschluss, d.h. Angebot und Annahme korrespondieren nicht
- Konsens: Übereinstimmende Willenserklärungen
- Übereinstimmende Falschbezeichnung: Subjektiv dasselbe gewollt
Welche Auswirkungen hat es, wenn sich die Parteien über die Hauptpunkte eines Vertrags nicht geeinigt haben?
Angenommen, zwei Personen verhandeln über den Kauf eines Autos. Der Verkäufer denkt, es geht am Schluss noch um einen Preis von 10.000 Euro, während der Käufer annimmt, der Preis betrage 9.000 Euro. Sie schütteln sich zwar die Hände, einigen sich aber nicht über einen der Hauptpunkte des Vertrags – den Preis. In diesem Fall liegt ein sogenannter Totaldissens vor.
Ein Totaldissens bedeutet, dass zwischen den Parteien ein Einigungsmangel hinsichtlich der essentialia negotii besteht. Die essentialia negotii sind die wesentlichen Vertragsbestandteile, ohne die ein Vertrag nicht wirksam zustande kommen kann. Dazu gehören beispielsweise beim Kaufvertrag das Kaufobjekt und der Kaufpreis.
Liegt ein Totaldissens vor, führt das immer zur Nichtigkeit des Vertrags. Es spielt dabei keine Rolle, ob der Dissens offen zu Trage tritt oder versteckt ist.
Die Vorschriften der §§ 154, 155 BGB, die sich mit dem Dissens befassen, sind beim Totaldissens nicht anwendbar. Sie regeln Fälle, in denen ein Vertrag zwar grundsätzlich geschlossen wurde, aber noch Unklarheiten oder Nebenpunkte offen sind. Beim Totaldissens fehlt es jedoch an einer grundlegenden Einigung über die Hauptpunkte des Vertrags.
Wichtig ist, den Totaldissens von einer nachträglichen Bestimmung der Leistungspflichten gemäß §§ 315 ff. BGB abzugrenzen. Wenn die Parteien vereinbart haben, dass eine Vertragspartei oder ein Dritter bestimmte Leistungspflichten nachträglich festlegen darf, dann liegt kein Dissens vor, sondern eine zulässige Regelung zur Leistungsbestimmung.
Kurz gesagt: Ohne Einigung über die essentialia negotii liegt ein Totaldissens vor, der Vertrag ist nichtig.
Totaldissens: Einigungsmangel über essentialia negotii (Hauptpunkte eines Vertrags, ohne die er nicht geschlossen worden wäre)
- Vertrag immer nichtig (egal ob offener oder versteckter Dissens)
- §§ 154, 155 BGB nicht anwendbar
- Nachträgliche Bestimmung der Leistungspflichten gem. §§ 315 ff. BGB: Kein Dissens
Welche Auswirkungen hat es, wenn sich die Parteien über die Nebenpunkte eines Vertrags nicht geeinigt haben? Macht es einen Unterschied, ob die Parteien den Einigungsmangel bemerken?
Was passiert, wenn die Parteien zwar die wesentlichen Punkte eines Vertrags übereinstimmend geregelt haben, aber über Nebenfragen Uneinigkeit besteht? Unterschieden werden hier zwei Fälle: der offene und der versteckte Dissens.
Beim offenen Dissens nach § 154 BGB ist den Parteien bewusst, dass sie keine vollständige Einigung erzielt haben. Zunächst ist zu prüfen, ob sich der Vertrag durch Auslegung nach §§ 133, 157 BGB noch als zustande gekommen betrachten lässt. Falls dies zu keinem Ergebnis führt, gilt im Zweifel nach § 154 Abs. 1 BGB, dass der Vertrag nicht geschlossen wurde. Ein Beispiel: Zwei Parteien verhandeln über den Kauf eines wertvollen Gegenstands und einigen sich auch auf den Preis. Nicht festgelegt ist aber, wer die Transportkosten tragen soll. Sie wissen um diese offene Frage, können aber trotz langer Verhandlungen keine Einigung darüber erzielen. In einem solchen Fall wird der Vertrag im Zweifel nicht als geschlossen angesehen.
Anders liegt es beim versteckten Dissens nach § 155 BGB. Hier glauben beide Parteien, sich vollständig geeinigt zu haben, übersehen aber, dass es tatsächlich noch eine ungeklärte Nebenfrage gibt. In diesem Fall ist der Vertrag mit den getroffenen Vereinbarungen grundsätzlich wirksam, soweit diese fehlerfrei sind und wenn davon auszugehen ist, dass die Parteien den Vertrag auch ohne Regelung dieses Punktes geschlossen hätten. Ein Beispiel ist, dass ein Mieter und ein Vermieter sich über die Miete und die Laufzeit eines Mietvertrags einig sind, aber beide übersehen, dass sie nichts zur Nebenkostenabrechnung geregelt haben. Wenn anzunehmen ist, dass sie den Vertrag auch ohne diese Bestimmung gewollt hätten, bleibt der Vertrag bestehen und wird gegebenenfalls durch gesetzliche Regelungen ergänzt.
Kurz gesagt: Beim offenen Dissens gilt im Zweifel, dass kein Vertrag zustande kommt, während beim versteckten Dissens der Vertrag bestehen bleibt, wenn die Parteien ihn auch ohne die fehlende Regelung gewollt hätten.
Partieller Dissens: Einigungsmangel über accidentialia negotii (Nebenpunkte eines Vertrags)
- Offener Dissens, § 154 BGB: Parteien ist bewusst, dass keine vollständige Einigung erzielt
- Vorrang der Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB, ob Vertrag als geschlossen oder nicht betrachtet wird
- Wenn dies zu keinem Ergebnis führt: Im Zweifel nicht geschlossen, § 154 I BGB
- Versteckter Dissens, § 155 BGB: Parteien meinen, sich geeinigt zu haben
- Vereinbartes gilt, soweit fehlerfrei, wenn anzunehmen, dass Vertrag ohne Bestimmung über fehlenden Punkt geschlossen worden wäre
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