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Einrede des nichterfüllten Vertrages, §§ 320-322 BGB
Was versteht man unter der Einrede des nichterfüllten Vertrags?
Wenn zwei Parteien einen gegenseitigen Vertrag schließen, zum Beispiel einen Kaufvertrag, dann sind beide verpflichtet, ihre vereinbarten Leistungen zu erbringen. Der Käufer muss zahlen, der Verkäufer muss die Ware liefern. Doch was passiert, wenn eine Seite ihre Leistung nicht oder nicht vollständig erbringt? Genau hier greift die Einrede des nichterfüllten Vertrages nach den §§ 320-322 BGB.
Dieses spezielle Leistungsverweigerungsrecht gibt einer Vertragspartei das Recht, ihre eigene Leistung so lange zurückzuhalten, bis die andere Seite ihre Verpflichtung erfüllt hat. Es ist eine Sonderform des allgemeinen Zurückbehaltungsrechts aus § 273 BGB, das für alle Schuldverhältnisse gilt. Allerdings verdrängt die Einrede des nichterfüllten Vertrages das allgemeine Zurückbehaltungsrecht als lex specialis immer dann, wenn es sich um einen gegenseitigen Vertrag handelt und die Verpflichtungen der Parteien synallagmatisch zueinander in einem Gegenseitigkeitsverhältnis stehen.
Ein Beispiel: Du kaufst ein Fahrrad für 500 Euro. Der Verkäufer übergibt dir das Rad nicht, obwohl du bereit bist zu zahlen. In diesem Fall kannst du deine Zahlung verweigern, bis der Verkäufer seine Leistung – die Übergabe des Fahrrads – vollständig und mangelfrei erbringt. Das Gesetz gibt dir damit ein Druckmittel an die Hand, um sicherzustellen, dass du nicht vorleistest und dann deiner eigenen Leistung hinterherlaufen musst.
Diese Vorschrift schützt also insbesondere denjenigen, der seine Leistung erst erbringen soll, wenn die Gegenleistung bereits fällig ist. Erst wenn die andere Partei ihre Leistungspflicht erfüllt, besteht eine Pflicht zur Gegenleistung. Kurz gesagt: Wer nicht ordnungsgemäß leistet, kann auch keine Leistung verlangen.
Einrede des nichterfüllten Vertrages, §§ 320-322 BGB: Spezielles Leistungsverweigerungsrecht bei gegenseitigen Verträgen (z.B. Kaufvertrag); Sonderform des allgemeinen Zurückbehaltungsrechts aus § 273 BGB
- Verdrängt allgemeines Zurückbehaltungsrecht, § 273 BGB, als lex specialis bei gegenseitigen Verträgen, soweit die Pflichten sich synallagmatisch gegenüberstehen
- Dient insb. dazu, Druck auf einen vorleistungspflichtigen Schuldner auszuüben: Eigene Leistung so lange verweigern, bis die Gegenseite vollständig und frei von Mängeln erfüllt
Was ist die Rechtsfolge der Einrede des nichterfüllten Vertrags?
Die Rechtsfolge der Einrede des nichterfüllten Vertrages aus den §§ 320 ff. BGB entspricht der des allgemeinen Zurückbehaltungsrechts aus § 273 BGB. Der Berechtigte hat ein Leistungsverweigerungsrecht, bis sein eigener Anspruch aus dem gegenseitigen Vertrag erfüllt ist. Dabei handelt es sich um eine dilatorische Einrede, was bedeutet, dass die geschuldete Leistung nur Zug um Zug gegen den Erhalt der Gegenleistung erbracht werden muss.
Rechtsfolge wie beim allgemeinen Zurückbehaltungsrecht, § 273 BGB
- Leistungsverweigerungsrecht, bis eigener Anspruch aus dem gegenseitigen Vertrag erfüllt
- Dilatorische Einrede, um nur Zug um Zug gegen Erhalt der Gegenleistung zu leisten
Unter welchen Voraussetzungen steht dem Schuldner die Einrede des nichterfüllten Vertrags zu?
Auch für die Geltendmachung der Einrede des nichterfüllten Vertrages gemäß §§ 320 ff. BGB müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein.
Zunächst muss es sich um einen gegenseitigen Vertrag handeln, also ein Vertragsverhältnis mit einem Synallagma, in dem beide Leistungen in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis stehen. Das bedeutet, dass eine Leistung nur erbracht wird, damit auch die andere Partei ihre Leistung erbringen muss. Auf Latein spricht man von "do ut des" was auf deutsch so viel heißt wie „Ich gebe, damit du gibst“. Ein klassisches Beispiel ist der Kaufvertrag: Der Verkäufer liefert die Ware nur, weil er im Gegenzug den Kaufpreis erhalten soll, und umgekehrt.
Dieses Prinzip betrifft grundsätzlich nur die Hauptleistungspflichten, etwa die Zahlung des Kaufpreises gegen Übergabe der Ware. In Ausnahmefällen kann jedoch eine Nebenleistungspflicht konkludent zur Hauptpflicht aufgewertet werden – zum Beispiel die Abnahmepflicht des Käufers bei einem Räumungsverkauf, wenn sich aus der Interessenslage ergibt, dass der Verkäufer darauf angewiesen ist.
Weiterhin muss der Anspruch auf die Gegenleistung wirksam und fällig sein. Eine Verjährung schließt die Einrede jedoch nicht aus, wenn das Leistungsverweigerungsrecht bereits vor Eintritt der Verjährung bestanden hat.
Außerdem muss der Schuldner selbst vertragstreu sein. Wer seinerseits bereits gegen den Vertrag verstoßen hat, kann sich nicht mehr auf die Einrede berufen. Die Idee dahinter ist, dass nur derjenige geschützt wird, der sich selbst an den Vertrag hält.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass es keinen Ausschluss der Einrede geben darf. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn die andere Vertragspartei ihre Leistung bereits vollständig erbracht hat. Wenn eine Teilleistung vorliegt, ist die Einrede nur ausgeschlossen, wenn die vollständige Leistungsverweigerung gegen Treu und Glauben verstößt, dies bestimmt § 320 Abs. 2 BGB. Schließlich entfällt die Einrede gem. § 320 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 BGB auch, wenn eine vertragliche Vorleistungspflicht besteht, das heißt, wenn eine Partei vorleistungspflichtig ist.
Kommt es jedoch zu Zweifeln an der Leistungsfähigkeit des anderen Vertragspartners, hilft § 321 BGB mit der sogenannten Unsicherheitseinrede. Auch in diesem Fall bekommt der Schuldner ein Leistungsverweigerungsrecht, wenn erkennbar wird, dass ihr Anspruch auf die Gegenleistung durch die mangelnde Leistungsfähigkeit des anderen Vertragspartners gefährdet ist.
Voraussetzungen
- Gegenseitiger Vertrag / Synallagma
- Leistungspflichten beider Parteien zueinander in gegenseitigem Abhängigkeitsverhältnis, d.h. eine Leistung wird nur um der anderen Willen erbracht (lat.: „do ut des“, dt.: „ich gebe damit du gibst“)
- Betrifft nur Hauptleistungspflichten (konkludente Aufwertung von Nebenleistungspflicht nach Interessenslage denkbar, z.B. Abnahme bei Räumungsverkauf)
- Wirksamkeit und Fälligkeit des Gegenleistungsanspruchs
- Verjährung nicht hindernd, § 215 BGB: Wenn nicht verjährt vor Entstehung des Leistungsverweigerungsrechts
- Schuldner selbst vertragstreu
- Kein Ausschluss
- Gegenleistung vollständig erbracht
- Bei Teilleistung nur, wenn Verweigerung nicht gegen Treu und Glauben verstößt, § 320 II BGB
- Vorleistungspflicht des Schuldners, § 320 I 1 Hs. 2 BGB
- Aber Unsicherheitseinrede, § 321 BGB: Leistungsverweigerungsrecht, wenn erkennbar wird, dass sein Anspruch auf die Gegenleistung durch mangelnde Leistungsfähigkeit des anderen Teils gefährdet wird
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