- Zivilrecht
- Schuldrecht Allgemeiner Teil
- Bestimmung des Schuldverhältnisses
Gesamtschuld, §§ 421 ff. BGB
Was versteht man unter einer Gesamtschuld?
Stell dir vor, du wohnst mit deiner Mitbewohnerin in einer Zweier-WG mit gleich großen Zimmern, und ihr habt gemeinsam einen Mietvertrag als Hauptmieter unterschrieben. Die Monatsmiete beträgt 1.200 Euro. Untereinander habt ihr vereinbart, dass jeder die Hälfte zahlen soll. Doch am Monatsanfang steht der Vermieter auf der Matte und verlangt von dir die vollen 1.200€. Darf er das?
Mehrere Schuldner, aber nur eine geschuldete Leistung – das ist die Gesamtschuld nach §§ 421 ff. BGB. Die Besonderheit dieses Schuldverhältnisses besteht darin, dass mehrere Personen gemeinschaftlich für eine einzige Leistung haften. Man spricht auch von einer Haftung „zur ungeteilten Hand“.
Das bedeutet, dass der Gläubiger frei wählen kann, welchen Schuldner er in Anspruch nimmt. Nach § 421 Abs. 1 S. 1 BGB kann er die gesamte Leistung von jedem einzelnen Gesamtschuldner fordern. Er könnte sich also theoretisch nur an eine Person wenden und von dieser die vollständige Erfüllung verlangen. Allerdings darf der Gläubiger das, was ihm insgesamt zusteht, nur ein einziges Mal fordern. Sobald ein Gesamtschuldner vollständig geleistet hat, ist die gesamte Verbindlichkeit erfüllt, und der Gläubiger kann von den anderen nichts mehr verlangen. Nach § 362 Abs. 1 BGB tritt dann Erfüllung ein.
Das bedeutet im Beispiel: Der Vermieter kann frei entscheiden, von wem er die Miete verlangt. Er muss sich nicht anteilig an jeden von euch wenden, sondern kann sich an einen von euch beiden wenden und die gesamte Miete von 1.200 Euro fordern – auch wenn du mit deinem Mitbewohner eigentlich vereinbart hast, dass ihr euch die Miete hälftig teilt.
Gesamtschuld, §§ 421 ff. BGB: Mehrheit von Schuldnern, d.h. mehrere Schuldner schulden gemeinschaftlich aus einem einheitlichen Schuldverhältnis eine einzige Leistung; „Haftung zur ungeteilten Hand“
- Gläubiger kann nach Belieben von jedem Schuldner Leistung fordern, § 421 I 1 BGB: Jeder Schuldner schuldet gesamte Leistung
- Gläubiger darf Leistung aber nur einmal fordern: Soweit einer der Schuldner geleistet hat, tritt Erfüllung gem. § 362 I BGB ein
Kann ein Schuldner, der auf eine Gesamtschuld leistet, von den anderen Gesamtschuldnern Ausgleich fordern?
Zahlt ein Gesamtschuldner mehr, als seinem Anteil entspricht, stellt sich die Frage, ob und wie er von den anderen einen Ausgleich verlangen kann. Hier greift § 426 BGB, der einen Ausgleichsanspruch im Innenverhältnis der Gesamtschuldner regelt.
Grundsätzlich sind die Gesamtschuldner gemäß § 426 Abs. 1 BGB untereinander zu gleichen Teilen verpflichtet. Bevor ein Schuldner tatsächlich an den Gläubiger leistet, steht ihm daher gegen die anderen Gesamtschuldner ein Anspruch auf anteilige Freistellung zu. Das bedeutet, er kann verlangen, dass sie ihn insoweit unterstützen, dass er nicht alleine zahlen muss.
Hat ein Gesamtschuldner jedoch bereits die Forderung des Gläubigers beglichen, geht ihm nach § 426 Abs. 2 BGB automatisch die Forderung über, die der Gläubiger ursprünglich gegen die anderen Schuldner hatte. Man spricht von einer sogenannten Legalzession. Das bedeutet, der zahlende Schuldner kann nun im eigenen Namen von den anderen Gesamtschuldnern ihren jeweiligen Anteil zurückfordern. Die Forderung geht dabei gemäß §§ 412, 401 BGB mit allen sie besichernden Sicherheiten über, wie zum Beispiel einer Bürgschaft.
Ein Beispiel: A und B sind Hauptmieter einer WG und schulden dem Vermieter gemeinsam 1.200 Euro Miete. Der Vermieter fordert die gesamte Summe von A, die daraufhin alleine zahlt, da B knapp bei Kasse ist. Nach § 426 Abs. 2 BGB kann Anna nun von Ben seinen Anteil von 600 Euro zurückverlangen.
Zentral ist also, dass ein Gesamtschuldner, der mehr als seinen Anteil zahlt, im Innenverhältnis einen Ausgleich von den anderen verlangen kann.
Ausgleichsanspruch im Innenverhältnis zwischen Gesamtschuldnern, § 426 BGB
- Vor Befriedigung Anspruch auf anteilige Freistellung, § 426 I BGB: Wenn Gläubiger nur von ihm Leistung auf Schuld verlangt („zu gleichen Teilen verpflichtet“)
- Soweit befriedigt Legalzession der Forderung des Gläubigers, § 426 II BGB: Evtl. mit zusätzlichen Sicherheiten (z.B. Bürgschaft), §§ 412, 401 BGB
Wir wirkt es sich auf den Ausgleichsanspruch aus, wenn einer der Gesamtschuldner aufgrund eines vertraglichen oder gesetzlichen Haftungsprivilegs nicht leisten muss?
Stell dir vor, zwei Personen verursachen gemeinsam einen Schaden, haften also als Gesamtschuldner. Normalerweise könnte der Geschädigte von beiden den gesamten Betrag verlangen, und im Innenverhältnis würde dann ein Gesamtschuldnerausgleich nach § 426 BGB erfolgen. Doch was passiert, wenn einer der beiden durch ein gesetzliches oder vertragliches Haftungsprivileg geschützt ist und deshalb nicht zahlen muss? Dieses Problem wird als gestörte Gesamtschuld bezeichnet.
Solche Haftungsprivilegien existieren zum Beispiel zwischen Ehegatten untereinander gem. § 1359 BGB oder von Eltern gegenüber ihren Kindern gem. § 1664 I BGB.
Ein Beispiel hierfür ist der Münchener Spielplatzfall: Ein Vater verletzt seine Aufsichtspflicht. Sein Kind stürzt auf einem städtischen Spielplatz von einem Spielgerät und erleidet schwere Verletzungen. Die Stadt hätte den Unfall durch eine Absturzsicherung oder einen weicheren Bodenbelag verhindern können, weshalb sie nach § 823 Abs. 1 BGB haftet. Problematisch ist jedoch die Haftungsverteilung, da der Vater des Kindes aufgrund gesetzlicher Haftungsprivilegierung (§ 1664 Abs. 1 BGB) nicht mithaftet, wodurch eine gestörte Gesamtschuld entsteht.
Die Lösung der Situation der gestörten Gesamtschuld ist umstritten. Es gibt drei Lösungsansätze. Die erste Möglichkeit ist die Lösung zu Lasten des Privilegierten. Sie sieht vor, dass der nicht privilegierte Gesamtschuldner trotz der Privilegierung Regress beim Privilegierten nehmen kann. Das bedeutet, dass im Innenverhältnis eine Gesamtschuld fingiert wird, sodass der Nichtprivilegierte den geschützten Schuldner nach § 426 BGB in die Haftung nehmen kann. Der Vorteil dieser Lösung: Der Nichtprivilegierte wird nicht durch das Privileg des anderen belastet. Das Problem dabei ist allerdings, dass der Privilegierte dann schlechter dasteht, als wenn er allein den Schaden verursacht hätte, denn dann hätte er gar nichts zahlen müssen. Deshalb ist diese Lösung abzulehnen
Eine andere Möglichkeit ist die Lösung zu Lasten des Nichtprivilegierten. Danach wäre dem Nichtprivilegierten jeglichen Regress zu verwehren. Das ist bei gesetzlichen Haftungsprivilegien die Lösung des Bundesgerichtshofs. Der Gedanke dahinter ist, dass der Gesetzgeber mit dem Privileg eine bewusste Entscheidung getroffen hat, die sich auch auf Dritte auswirken darf. Allerdings führt das dazu, dass die Mitverursachung des privilegierten Schuldners vollständig unberücksichtigt bleibt, was unbillig ist. Auch diese Lösung ist daher abzulehnen.
Die herrschende Lehre schlägt deshalb eine dritte Lösung vor: Lösung zu Lasten des Geschädigten. Der Geschädigte soll seinen Ersatzanspruch direkt gekürzt bekommen, und zwar um den Anteil des freigestellten Mitverursachers. Damit trifft die Privilegierung genau denjenigen, für den sie gedacht ist – nämlich den Geschädigten. Sie ist daher vorzugswürdig. Der Bundesgerichtshof erreicht dieses Ergebnis bei vertraglichen Haftungsprivilegien auf einem komplizierteren Weg, indem er ein Regresskarussell annimmt.
Kurz gesagt: Bei der gestörten Gesamtschuld gibt es verschiedene Lösungen, je nachdem, ob das Haftungsprivileg gesetzlich oder vertraglich begründet ist.
Gestörte Gesamtschuld: Einer der Gesamtschuldner wird geschützt durch ein vertragliches oder gesetzliches Haftungsprivileg (z.B. Ehegatten untereinander gem. § 1359 BGB, Eltern ggü. ihren Kindern gem. § 1664 I BGB; vgl. „Münchener Spielplatzfall“)
- Lösung zu Lasten des Privilegierten: Damit Nichtprivilegierter nicht unter Privilegierung leidet, wird Gesamtschuld im Innenverhältnis zum Privilegierten fingiert ⇨ Nichtprivilegierter kann Regress nehmen gem. § 426 BGB
- Privilegierter steht dann schlechter, als wenn er Schaden allein verursacht hätte (dann Privilegierung)
- Lösung zu Lasten des Nichtprivilegierten: Keine Regressmöglichkeit; BGH: bei gesetzlichen Haftungsprivilegien, da gesetzgeberische Wertungen Außenwirkung (auf Nichtprivilegierten)
- Mitverursachung bleibt so gänzlich unberücksichtigt
- h.L., Lösung zu Lasten des Geschädigten: Ersatzanspruch ggü. Nichtprivilegiertem gekürzt um Anteil des freigestellten Mitverursachers; BGH: Bei vertraglichen Haftungsprivilegien gleiches Ergebnis durch komplizierteres Regresskarussel
- Privilegierung zulasten dessen, den sie auch belasten soll
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A und B sind beide mit schuld am Unfall des Geschädigten G, dem deshalb Schadensersatzansprüche zustehen. Sein Schaden beträgt 400€. A hat einen Verschuldensanteil von 25%, B von 75%. G verlangt von A Zahlung i.H.v. 400€. Welche Aussagen sind richtig?
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