- Zivilrecht
- Allgemeiner Teil des BGB
- Geschäftsfähigkeit
Geschäftsunfähigkeit, §§ 104 f. BGB
Wer ist geschäftsunfähig?
Nicht jeder kann im Rechtsverkehr wirksame Willenserklärungen abgeben. Das Gesetz sieht vor, dass bestimmte Personen als geschäftsunfähig gelten, was bedeutet, dass ihre Erklärungen keine rechtliche Wirkung entfalten.
Nach § 104 BGB gibt es zwei Gruppen von Geschäftsunfähigen. Erstens sind alle Minderjährigen bis zur Vollendung des siebten Lebensjahres geschäftsunfähig. Das bedeutet, dass ein Kind unter sieben Jahren keinerlei wirksame Verträge abschließen kann. Selbst wenn ein sechsjähriges Kind in einem Geschäft eigenständig eine Süßigkeit kauft, kommt dadurch kein wirksamer Kaufvertrag zustande.
Zweitens sind Personen geschäftsunfähig, die sich dauerhaft in einem Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befinden, sofern sie dadurch nicht mehr in der Lage sind, ihre eigenen Willenserklärungen mit einem freien Willen zu bilden. Das trifft insbesondere auf Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen oder geistigen Behinderungen zu. Entscheidend ist hierbei, dass die Störung dauerhaft bestehen muss. Eine vorübergehende Beeinträchtigung, etwa durch Alkohol oder Medikamente, führt nicht zur Geschäftsunfähigkeit, sondern kann allenfalls zur vorübergehenden Unwirksamkeit einzelner Erklärungen führen.
Kurz gesagt: Kinder bis sieben Jahre und dauerhaft Geisteskranke sind geschäftsunfähig.
Geschäftsunfähige, § 104 BGB: Minderjährige bis einschließlich 6 Jahre und Geisteskranke sind nicht geschäftsfähig
Welche Rechtsfolgen hat die Geschäftsunfähigkeit?
Wenn eine geschäftsunfähige Person eine Willenserklärung abgibt, ist diese von vornherein nichtig, das heißt, sie entfaltet keinerlei rechtliche Wirkung. Das ergibt sich aus § 105 Abs. 1 BGB. Darüber hinaus kann eine geschäftsunfähige Person auch keine Willenserklärungen empfangen. Das bedeutet, dass Erklärungen, die ihr gegenüber abgegeben werden, nicht wirksam werden. Das regelt § 131 Abs. 1 BGB.
Rechtsfolgen
- Abgegebene Willenserklärung nichtig, § 105 I BGB
- Kann auch keine Willenserklärung empfangen, § 131 I BGB
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Ist eine Willenserklärung wirksam, die ein Geisteskranker in einem Moment der Klarheit abgibt?
Kann eine Person, die eigentlich geschäftsunfähig ist, eine wirksame Willenserklärung abgeben, wenn sie sich in einem kurzen Moment der geistigen Klarheit befindet? Diese Frage stellt sich zum Beispiel bei psychischen Erkrankungen, die phasenweise verlaufen.
Grundsätzlich gilt nach § 104 Nr. 2 BGB, dass Personen, die unter einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit leiden, geschäftsunfähig sind. Ihre Willenserklärungen sind damit nichtig gem. § 105 Abs. 1 BGB. Doch es gibt eine wichtige Ausnahme: den sogenannten "lichten Augenblick" oder lateinisch "lucidum intervallum". Das bedeutet, dass eine ansonsten geschäftsunfähige Person für einen kurzen Zeitraum vollständig im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte ist.
In einem solchen Moment entfällt die Geschäftsunfähigkeit. Das bedeutet, dass eine Willenserklärung, die während eines lichten Augenblicks abgegeben wird, wirksam ist. Entscheidend ist, dass die Person in diesem Moment in der Lage ist, Bedeutung und Folgen ihrer Erklärung zu verstehen und nach diesem Verständnis zu handeln.
Ein Beispiel: Jemand leidet an einer schweren psychischen Erkrankung, die ihn grundsätzlich geschäftsunfähig macht. Während eines klaren Moments beschließt er jedoch, sein Auto zu verkaufen, verhandelt über den Preis und unterzeichnet den Kaufvertrag mit vollem Bewusstsein über die rechtlichen Folgen. Wenn nachweisbar ist, dass er in diesem Moment tatsächlich geschäftsfähig war, ist der Vertrag wirksam.
Eine Willenserklärung eines Geschäftsunfähigen ist also ausnahmsweise wirksam, wenn sie in einem lichten Augenblick abgegeben wird.
„Lichter Augenblick“ (lat.: „lucidum intervallum“): Moment, in dem Geisteskranker vorübergehend im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist
- In diesem Moment keine Geschäftsunfähigkeit: Willenserklärungen wirksam
Sind Geschäftsfähige in verwirrten Momenten geschäftsunfähig?
Kann jemand, der normalerweise geschäftsfähig ist, in einem verwirrten Moment als geschäftsunfähig gelten? Diese Frage stellt sich insbesondere bei Menschen, die nur zeitweise einmal nicht im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte sind, etwa aufgrund von Krankheit oder Alterserscheinungen.
Grundsätzlich gilt: Wer geschäftsfähig ist, bleibt es auch. Doch es gibt Überlegungen zur sogenannten relativen Geschäftsunfähigkeit. Diese besagt, dass eine Person in einem bestimmten Moment geschäftsunfähig sein kann, wenn sie aufgrund einer geistigen Schwäche das konkrete Geschäft nicht voll erfassen kann. Diese Argumentation stützt sich auf den Umkehrschluss zum Konzept des lichten Augenblicks, das etwa bei Demenzkranken anerkannt ist. Dort wird trotz einer dauerhaften geistigen Beeinträchtigung ein geschäftsfähiger Moment anerkannt, wenn die Person das Geschäft versteht.
Gegen diese Ansicht ist einzuwenden: Unkluges oder unüberlegtes Handeln ist noch lange keine Geschäftsunfähigkeit. Dass jemand impulsiv oder unvorsichtig einen Vertrag abschließt, hat nichts mit dauerhafter Geschäftsunfähigkeit zu tun. Der Ansicht zu folgen, würde zu erheblichen Unsicherheiten im Rechtsverkehr führen, weil dann viele Geschäfte nachträglich infrage gestellt werden könnten. Stattdessen gibt es andere Schutzmöglichkeiten, etwa die Anfechtung wegen Irrtums oder Täuschung oder die Bestellung eines Betreuers für dauerhaft beeinträchtigte Personen.
Ein verwirrter Augenblick macht also nicht geschäftsunfähig, solange die Person Geschäfte grundsätzlich noch erfassen kann.
„Verwirrter Augenblick“: Moment, in dem Geschäftsfähiger vorübergehend nicht im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist
- Relative Geschäftsunfähigkeit, wenn Geschäft aufgrund geistiger Schwäche nicht voll erfasst werden kann, da Umkehrschluss zum „lichten Augenblick“ (z.B. bei Senioren)
- Unkluges, kurzsichtiges Handeln noch keine Geschäftsunfähigkeit; Abgrenzungsprobleme ⇨ Unsicherheiten im Rechtsverkehr; Möglichkeit zu Anfechtung und Bestellung eines Betreuers
Kann die Geschäftsunfähigkeit auf bestimmte Lebensbereiche beschränkt werden?
Es gibt Fälle, in denen eine Person nur in bestimmten Bereichen des Lebens als geschäftsunfähig gilt. Man spricht dann von partieller Geschäftsunfähigkeit.
Das bedeutet, dass jemand zwar grundsätzlich geschäftsfähig ist, in einem klar abgegrenzten Lebensbereich aber nicht eigenständig rechtsverbindliche Erklärungen abgeben kann. Ein Beispiel dafür wäre eine Person, die unter einer psychischen Erkrankung leidet, die sich nur in bestimmten Situationen auswirkt. Stell dir vor, jemand leidet an einer krankhaften Eifersucht, die dazu führt, dass er in Eheangelegenheiten völlig irrationale Entscheidungen trifft. In diesem Bereich könnte ihn ein Gericht als geschäftsunfähig einstufen, während er in allen anderen Bereichen rechtswirksame Willenserklärungen abgeben kann.
Diese Einschränkung dient dem Schutz der betroffenen Person und ihres Rechtsverkehrs. Es verhindert, dass sie in sensiblen Bereichen Entscheidungen trifft, die sie aufgrund ihrer Erkrankung nicht überblicken kann. Gleichzeitig bleibt ihr aber die Möglichkeit erhalten, in den sonstigen Bereichen des Lebens rechtlich selbstständig zu handeln.
Zentral ist also, dass partielle Geschäftsunfähigkeit sich immer nur auf einen klar abgrenzbaren Lebensbereich bezieht.
Partielle Geschäftsfähigkeit: Geschäftsunfähigkeit nur in bestimmtem, abgegrenztem Lebensbereich (z.B. krankhafte Eifersucht führt zu Geschäftsunfähigkeit in Ehefragen)
Wie wirkt sich die Geschäftsunfähigkeit auf die Prozessfähigkeit aus?
Stell dir vor, eine Person ist geschäftsunfähig, weil sie unter einer schweren geistigen Beeinträchtigung leidet. Kann sie dann vor Gericht selbst handeln, also etwa Klage erheben oder sich gegen eine Klage verteidigen? Grundsätzlich nicht, denn die Prozessfähigkeit im Zivilprozess richtet sich nach der Geschäftsfähigkeit. Ohne Geschäftsfähigkeit besteht in der Regel auch keine Prozessfähigkeit. Das bedeutet, dass ein geschäftsunfähiger Mensch nicht selbst wirksam Prozesshandlungen vornehmen kann. Stattdessen muss er durch einen Vertreter, etwa einen Betreuer oder Vormund, vertreten werden. Die gesetzliche Grundlage dafür findet sich in den §§ 51 Abs. 1 und 52 ZPO.
Es gibt jedoch eine wichtige Ausnahme: In Verfahren, die sich auf Maßnahmen wegen des Geisteszustands einer Person beziehen, kann diese ausnahmsweise selbst prozessfähig sein, um ihre Rechte wahren zu können. Das dient dem Schutz ihrer Rechte, insbesondere wenn es um Entscheidungen geht, die ihre persönliche Freiheit betreffen, wie etwa die Bestellung eines Betreuers. In solchen Fällen soll die betroffene Person nicht vollständig von der eigenen Rechtsverfolgung oder -verteidigung ausgeschlossen sein.
Wer nicht geschäftsfähig ist, ist im Zivilprozess grundsätzlich also auch nicht prozessfähig – außer in Verfahren, die den eigenen Geisteszustand betreffen.
Ohne Geschäftsfähigkeit grds. keine Prozessfähigkeit im Zivilprozess, §§ 51 I, 52 ZPO: Knüpft an Geschäftsfähigkeit
- Ausnahme: Wahrung der Rechte in Verfahren über Maßnahmen wegen Geisteszustand
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Ziad T.
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