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Prüfungsreihenfolge der zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen
In welcher Reihenfolge werden die in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen geprüft? Ist die Reihenfolge zwingend einzuhalten?
Die Prüfung der zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen folgt einer festen Reihenfolge, die unbedingt einzuhalten ist. Diese Reihenfolge ergibt sich aus dem Konkurrenzverhältnis der Ansprüche zueinander und ist entscheidend, um korrekt zu prüfen und keine Rechtsfehler zu begehen. Die vorgegebene Prüfungsreihenfolge gibt dir eine klare Struktur, die du immer wieder anwenden kannst.
Zuerst werden die vertraglichen Ansprüche geprüft. Das sind solche, die direkt aus einem Vertrag entstehen. Innerhalb dieser Ansprüche unterscheidet man zwischen Primäransprüchen, die auf die Erfüllung der vertraglichen Pflichten gerichtet sind, wie zum Beispiel die Zahlung des Kaufpreises oder die Lieferung einer Ware, und Sekundäransprüchen, die sich aus Störungen in der Vertragsabwicklung ergeben, wie Schadensersatzansprüche wegen Pflichtverletzung (§§ 280 ff. BGB) oder Rückgewähransprüche nach einem Rücktritt (§§ 346 ff. BGB). Vertragliche Ansprüche haben eine besondere Bedeutung, weil sie viele andere Anspruchsgrundlagen beeinflussen können. So können sie beispielsweise Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) ausschließen oder einen Rechtfertigungsgrund für ein deliktisches Handeln oder eine Rechtsgrundlage für das Behaltendürfen im Bereicherungsrecht darstellen.
Nach den vertraglichen Ansprüchen kommen die quasivertraglichen oder vertragsähnlichen Ansprüche. Sie ähneln den vertraglichen Ansprüchen, weil sie ebenfalls auf speziellen rechtlichen Beziehungen beruhen, jedoch keinen direkten Vertrag voraussetzen. Hier prüfst du Ansprüche aus culpa in contrahendo (c.i.c.) gem. §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB und Geschäftsführung ohne Auftrag gem. §§ 677 ff. BGB, aber auch die Haftung des Vertreters ohne Vertretungsmacht gem. § 179 BGB oder den Ersatz des Vertrauensschadens nach Anfechtung gem. § 122 BGB.
Es folgen die dinglichen oder sachenrechtlichen Ansprüche. Diese Ansprüche umfassen insbesondere den Herausgabeanspruch des Eigentümers gegen den unrechtmäßigen Besitzer nach § 985 BGB, die Regelungen zum Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (EBV) in §§ 987 ff. BGB, den Besitzschutz nach §§ 861 ff. BGB, den Anspruch des früheren Besitzers auf Herausgabe gegen den aktuellen Besitzer gemäß § 1007 BGB sowie die Ansprüche des Erben auf Herausgabe der Erbschaft nach §§ 2018 ff. BGB. Weil das EBV eine Sperrwirkung besitzt, also andere Ansprüche wie die delikts- oder bereicherungsrechtlichen ausschließen kann, ist es zwingend, dingliche Ansprüche vor diesen zu prüfen.
Deliktische Ansprüche, wie zum Beispiel § 823 Abs. 1 BGB, kommen danach. Hier geht es um Schadensersatzansprüche, die auf einer unerlaubten Handlung beruhen, wie etwa die Verletzung von Eigentum oder Gesundheit. Weil sie keine spezifischen rechtlichen Beziehungen zwischen den Beteiligten voraussetzen und unabhängig von vertraglichen oder sachenrechtlichen Ansprüchen sind, haben sie eine nachrangige Position.
Den Abschluss der Prüfung bilden bereicherungsrechtliche Ansprüche, die auf die Rückgewähr einer ungerechtfertigten Bereicherung gerichtet sind, geregelt in §§ 812 ff. BGB.
Natürlich sollten immer nur die Anspruchsgrundlagen geprüft werden, die im Sachverhalt aufgeworfen sind. Eine vollständige Prüfung aller theoretisch denkbaren Normen ist weder effizient noch angebracht (das wäre eine verfehlte Schwerpunktsetzung). Auch im fortgeschrittenen Studium empfiehlt es sich aber, bei der Bearbeitung eines jeden Falls das Schema für Anspruchsgrundlagen zumindest gedanklich einmal vollständig durchzugehen. Dies dient nicht nur dazu, einen strukturierten Überblick über mögliche Anspruchsgrundlagen zu behalten und sicherzustellen, dass keine relevanten Ansprüche übersehen werden. Selbst nach 15 Jahren Juristerei gehe ich das Schema immer noch gedanklich bei jedem Fall, den ich löse, kurz durch.
Eine besonders debil wirkende und deshalb umso einprägsamere Eselsbrücke lautet: "Ver-ci-go-di-del-ung". Sie steht für die Reihenfolge vertraglich, c.i.c., GoA, dinglich, deliktisch, ungerechtfertigte Bereicherung. Bei mir blieb sie für immer im Kopf, nachdem ich sie das erste Mal genutzt hatte. Beliebt ist als Alternative auch: „Viel Quatsch schreibt der Bearbeiter“ für vertraglich, quasivertraglich, sachenrechtlich, deliktisch, bereicherungsrechtlich.
Die Prüfungsreihenfolge der Anspruchsgrundlagen ist strikt einzuhalten, um Konkurrenzverhältnisse korrekt zu berücksichtigen. Der Merksatzlautet: "Ver-ci-go-di-del-ung".
Prüfungsreihenfolge der Ansprüche: Reihenfolge zwingend aufgrund des Konkurrenzverhältnisses untereinander
- Vertragliche Ansprüche
- Primäransprüche auf Erfüllung: Hauptleistungs- und Nebenleistungspflichten
- Sekundäransprüche aus Störung in Vertragsabwicklung: z.B. Schadensersatz wegen Pflichtverletzung, §§ 280 ff. BGB; Rückgewähr nach Rücktritt, §§ 346 ff. BGB
- Als erstes prüfen: Kann Geschäftsführung ohne Auftrag ausschließen, Rechtfertigungsgrund für deliktisches Handeln und Rechtsgrund für Behaltendürfen für bereicherungsrechtliche Ansprüche darstellen
- Vertragsähnliche Ansprüche / quasivertragliche Ansprüche: z.B. Schadensersatz aus c.i.c., §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB; Geschäftsführung ohne Auftrag, §§ 677 ff. BGB; Ersatz des Vertrauensschadens nach Anfechtung, § 122 BGB; Haftung des Vertreters ohne Vertretungsmacht, § 179 BGB
- Nach den vertraglichen Ansprüchen prüfen: Da sie diesen sehr nahe kommen
- Dingliche Ansprüche / sachenrechtliche Ansprüche: Insb. § 985 BGB, §§ 987 ff. BGB, §§ 861 ff. BGB, § 1007 BGB, §§ 2018 ff. BGB
- Vor Delikts- und Bereicherungsrecht prüfen: Insb. aufgrund der Sperrwirkung des EBV, das diese Ansprüche ausschließen kann
- Deliktische Ansprüche: z.B. § 823 I BGB
- Bereicherungsrechtliche Ansprüche: §§ 812 ff. BGB, z.B. § 812 I 1 Alt. 1 BGB
- Auch im fortgeschrittenen Studium sollte bei jedem Fall das Schema einmal vollständig in Gedanken durchgegangen werden, um keine in Betracht kommenden Ansprüche außer Acht zu lassen
- Eselsbrücke: Ver-ci-go-di-del-ung (vertraglich, c.i.c., goA, dinglich, deliktisch, ungerechtfertigte Bereicherung); wirkt auf den ersten Blick etwas debil, aber bleibt für immer im Kopf, wenn man sie einmal genutzt hat
- Eselsbrücke: „Viel Quatsch schreibt der Bearbeiter" (vertraglich, quasivertraglich, sachenrechtlich, deliktisch, bereicherungsrechtlich)
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