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Sittenwidrigkeit, § 138 BGB

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Aktualisiert vor 8 Tagen

Welche Rechtsfolge hat es, wenn ein Rechtsgeschäft gegen ein Verbotsgesetz verstößt?

Nicht jedes unangemessene Verhalten im Rechtsverkehr führt zur Unwirksamkeit eines Vertrags, doch wenn ein Rechtsgeschäft gegen die guten Sitten verstößt, greift § 138 Abs. 1 BGB.

Stell dir vor, eine ältere, finanziell unerfahrene Person benötigt dringend Geld und nimmt ein Darlehen mit extrem hohen Zinsen auf, die weit über dem marktüblichen Niveau liegen. Hier liegt eine krasse Übervorteilung vor, die sittenwidrig sein kann. Ebenso sittenwidrig wäre ein Vertrag, der eine Person zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Leistung verpflichtet.

Die unmittelbare Rechtsfolge eines solchen Verstoßes ist die Nichtigkeit des gesamten Rechtsgeschäfts gemäß § 138 Abs. 1 BGB. Das bedeutet, dass der Vertrag so behandelt wird, als hätte er nie existiert. Kein Beteiligter kann daraus Ansprüche ableiten.

Merke

Rechtsfolge eines Verstoßes gegen die guten Sitten

  • Rechtsgeschäft nichtig, § 138 I BGB

Wann liegt ein Verstoß gegen die guten Sitten vor?

Nicht jeder Vertrag, der unfair erscheint, ist automatisch sittenwidrig im Sinne von § 138 BGB. Damit ein Rechtsgeschäft als sittenwidrig und damit nichtig gilt, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein: eine objektive Sittenwidrigkeit und eine subjektive Komponente.

Zunächst muss der Inhalt des Geschäfts objektiv gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoßen. Hierbei geht es um eine generelle gesellschaftliche Bewertung: Ist das Geschäft nach allgemeinem Gerechtigkeitsempfinden als besonders unfair oder unangemessen anzusehen? Typische Beispiele sind sogenannte Wucher-Geschäfte, bei denen jemand eine Zwangslage ausnutzt, um überhöhte Preise durchzusetzen.

Wichtig ist hier die Abgrenzung zur arglistigen Täuschung nach § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB. Eine Täuschung betrifft das Zustandekommen eines Vertrags, nicht dessen Inhalt. Deshalb ist ein solcher Vertrag nicht automatisch nichtig, sondern nur anfechtbar. So soll der Getäuschte die Wahl haben, ob er den Vertrag aufrechterhalten möchte oder nicht, denn er könnte trotz seines Zustandekommens dem Getäuschten im Nachhinein seinem Inhalt nach angenehm sein.

Neben dieser objektiven Komponente muss auch eine subjektive Verwerflichkeit gegeben sein. Das bedeutet, dass der Handelnde die Umstände kennen muss, aus denen sich die Sittenwidrigkeit ergibt. Er muss also nicht zwingend wissen, dass sein Handeln sittenwidrig ist, aber die Tatsachen, die es sittenwidrig machen, müssen ihm bewusst sein. Wenn beispielsweise ein Kreditgeber genau weiß, dass der Kreditnehmer finanziell völlig überfordert ist und ihn dennoch zu extrem ungünstigen Konditionen einen Vertrag unterschreiben lässt, dann liegt nicht nur objektiv eine Sittenwidrigkeit vor, sondern auch subjektiv eine verwerfliche Gesinnung.

Präg dir ein: Für die Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB musst du sowohl den sittenwidrigen Inhalt als auch eine verwerfliche Gesinnung prüfen.

Merke

Voraussetzungen eines Verstoßes gegen die guten Sitten

  • Zweistufige Prüfung: Immer objektive und subjektive Voraussetzungen prüfen

  1. Objektiv verstößt Inhalt des Vertrags gegen Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden
    • Nicht bei arglistiger Täuschung, § 123 I Alt. 1 BGB: In § 123 I Alt. 1 BGB abschließende Regelung für sittenwidriges Zustandekommen des Vertrags, der dann gerade nur anfechtbar und nicht gem. § 138 nichtig ist, um Getäuschtem Wahlrecht über Wirksamkeit des Vertrages zu lassen
  2. Subjektiv verwerfliche Gesinnung / Kenntnis der Umstände, aus denen sich Sittenwidrigkeit ergibt (muss nicht für sittenwidrig gehalten werden)

Was versteht man unter Wucher? Ist ein Wucherdarlehen nichtig?

Wucher liegt vor, wenn ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht und eine der Parteien dabei eine Zwangslage, Unerfahrenheit, einen Mangel an Urteilsvermögen oder eine Willensschwäche der anderen Partei ausnutzt. Das Gesetz sieht Wucher als besonderen Fall der Sittenwidrigkeit an und regelt ihn ausdrücklich in § 138 Abs. 2 BGB.

Das auffällige Missverhältnis kann insbesondere bei überhöhten Zinsen festgestellt werden. Dabei gibt es zwei Stufen der Bewertung: Ist der vereinbarte Zinssatz doppelt so hoch wie der marktübliche Durchschnittszinssatz (d.h. eine Überschreitung von 100 Prozent) oder übersteigt er diesen um 12 Prozentpunkte, wird grundsätzlich ein auffälliges Missverhältnis angenommen. Dann besteht eine Vermutung für eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten. Diese Vermutung ist jedoch widerleglich – das bedeutet, dass im Einzelfall nachgewiesen werden kann, dass keine sittenwidrige Ausnutzung vorliegt. Ein generelles Verbot besonders günstiger oder vorteilhafter Geschäfte im Sinne eines „Schnäppchenverbots“ gibt es nicht.

Ein besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung liegt vor, wenn der geforderte Preis oder Zinssatz das marktübliche Maß um 200 % übersteigt. In solchen Fällen greift eine unwiderlegliche Vermutung der verwerflichen Gesinnung. Das bedeutet, dass der Begünstigte nicht mehr darlegen oder beweisen kann, dass keine sittenwidrige Ausnutzung vorliegt. Ein solches Geschäft ist nach § 138 Abs. 2 BGB sittenwidrig und damit nichtig.

Ein klassisches Beispiel für Wucher ist das Wucherdarlehen. Dabei gewährt eine Partei einem Darlehensnehmer ein Darlehen zu extrem überhöhten Zinssätzen, während der Darlehensnehmer sich in einer finanziellen Notlage befindet und keine besseren Alternativen hat. Trotzdem führt die Sittenwidrigkeit des Vertrags nicht insgesamt zur Nichtigkeit des Darlehensvertrags. Stattdessen wird der Vertrag so behandelt, als wäre er ohne Zinsen geschlossen. Das bedeutet, dass der Darlehensnehmer zwar die erhaltene Darlehenssumme zurückzahlen muss, aber keine Zinsen schuldet, weil die Pflicht zur Rückzahlung nicht synallagmatisch im Gegenseitigkeitsverhältnis zur Zinszahlung steht.

Merke

Wucher, § 138 II BGB: Unterfall der Sittenwidrigkeit; Auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung

  1. Objektiv auffälliges Missverhältnis
    • Auffälliges Missverhältnis, § 138 II BGB: 100% oder 12 Prozentpunkte über durchschnittlichem Zinssatz
      • Widerlegliche Vermutung der verwerflichen Gesinnung: Im Einzelfall widerleglich, kein generelles „Schnäppchenverbot“
    • Besonders grobes Missverhältnis: 200% über durchschnittlichem Zinssatz
      • Unwiderlegliche Vermutung der verwerflichen Gesinnung
  2. Subjektiv Ausbeutung von Zwangslage, Unerfahrenheit, Mangel an Urteilsvermögen oder Willensschwäche

  • Wucherdarlehen nicht insgesamt nichtig, sondern nur zinsloses Darlehen: Rückzahlung der Darlehenssumme jedoch bei Fälligkeit zu leisten, da diese Pflicht nicht synallagmatisch zur Zinszahlung

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Frage 1/3

Zwischenhändler Z möchte bei Bank B ein Darlehen aufnehmen. Zur Sicherheit tritt er all seine Ansprüche gegen Kunden an B ab. Dann kauft er Waren von Großhändler G unter verlängertem Eigentumsvorbehalt, d.h. er darf die Waren sofort an Endkunden, z.B. den E, weiterveräußern, aber tritt dann zur Sicherung seine Kaufpreisforderungen an G ab. Wer ist Inhaber der Kaufpreisforderung gegen den Endkunden E?

B ist Inhaberin der Forderung, da sie als erstes an B abgetreten wurde.
G ist Inhaber der Forderung, denn G hat sie gutgläubig erworben.
G ist nicht Inhaber der Forderung, da es keinen gutgläubigen Forderungserwerb gibt.
G ist Inhaber der Forderung, denn die Abtretung an B war sittenwidrig.
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