- Strafrecht
- Allgemeiner Teil des StGB
- Irrtümer
Tatbestandsirrtum, § 16 I StGB
Wie verhält es sich, wenn der Täter keine Kenntnis über tatsächliche Umstände hat, die zum Tatbestand gehören?
Tatbestandsirrtum / Tatumstandsirrtum, § 16 I StGB: Irrtum über Tatumstand, d.h. Unkenntnis oder Fehlvorstellung über tatsächliche Umstände, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören
- Mangels Kenntnis kein Vorsatz, § 16 I StGB: Aber ggf. Fahrlässigkeitsdelikt
- Beispiel: z.B. Jäger macht Schießübungen und weiß nicht, dass Personen in seine Schussbahn laufen (Unkenntnis über Tatbestandsmerkmal); z.B. Jäger schießt auf Wildschwein, in Wirklichkeit handelt es sich aber um einen Menschen, der Pilze sammelt (Fehlvorstellung über Tatbestandsmerkmal)
- Diskussion beim Vorsatz
Wie verhält es sich, wenn der Täter sich über die Identität des von ihm Opfers irrt?
Error in persona vel objecto: Irrtum über Identität konkret individualisierter Person oder Sache; ursprünglicher Tatentschluss des Täters auf bestimmtes Ziel gerichtet, aber aufgrund einer Identitätsverwechslung konkretisiert sich der Vorsatz auf ein anderes Ziel; z.B. bei Anruf meldet sich unbemerkt andere Person als erwartet und wird von Täter beleidigt
- Tatbestandliche Gleichwertigkeit des Objekts aus Tätersicht: z.B. Täter möchte den Menschen A erschießen, aufgrund schlechter Sichtverhältnisse hält er aber den Menschen B für den A und erschießt diesen
- Kein Tatbestandsirrtum, § 16 I StGB: Unbeachtlich, da persönliche Identität des Tatobjekts kein objektiver Tatumstand
- Vorsatzkonkretisierung auf getroffenes Tatobjekt (d.h. vorsätzlich vollendetes Begehungsdelikt zulasten des Getroffenen)
- Kein zusätzliches Versuchsdelikt gegen Angriffsobjekt (umstritten)
- M.M.: Zusätzlich versuchtes Delikt gegen Angriffsobjekt zu prüfen, da nach Tätervorstellung zur Erfüllung am vermeintlichen Opfer angesetzt
- h.M.: Vorsatz verbraucht (bereits mit Annahme vorsätzlich vollendeter Begehung berücksichtigt)
- Vorsatz für Angriffsobjekt nur auf Grundlage von Identitätsirrtum, der aber unbeachtlich ist, also nicht zugleich Grundlage für Strafbarkeit ggü. Angriffsobjekt sein kann
- Tatbestandliche Ungleichheit des Objekts aus Tätersicht: z.B. Schuss auf vermeintliche Vogelscheuche, die tatsächlich ein Mensch ist
- Tatbestandsirrtum, § 16 I StGB: Beachtlich, da relevanter Tatumstand
- Fahrlässigkeitsdelikt ggü. Verletzungsobjekt
- Versuchtes Delikt ggü. Angriffsobjekt
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Wie verhält es sich, wenn der Täter versehentlich sein Ziel verfehlt und jemand oder etwas anderes trifft?
Aberratio ictus (dt. „Abirrung/Fehlgehen des Schlages“): Vorsatz auf bestimmtes, individualisiertes Angriffsobjekt gerichtet, aber wegen unvorhergesehenem Kausalverlauf anderes Verletzungsobjekt getroffen; z.B. Beleidigung auf Anrufbeantworter wird von anderer Person abgehört
- Gleichwertigkeitstheorie: Fehlgehen im Rahmen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren, deshalb vorsätzlich vollendetes Delikt, wenn Gleichwertigkeit der Rechtsgüter
- Gerade nicht Person getroffen, auf die sich Vorsatz konkretisierte
- h.M., Konkretisierungstheorie: Kein Vorsatz hinsichtlich Verletzungsobjekt (Tatbestandsirrtum, § 16 I StGB), aber hinsichtlich Angriffsobjekt
- Fahrlässigkeitsdelikt ggü. Verletzungsobjekt
- Versuchtes Delikt ggü. Angriffsobjekt
- Im Assessorexamen tendenziell nie einschlägig
Wie verhält es sich, wenn der Erfolg auf eine andere Weise eintritt, als es sich der Täter ursprünglich vorgestellt hat?
Irrtum über den Kausalverlauf: Nur wesentliches Abweichen des vorgestellten vom tatsächlichen Kausalverlauf relevant, d.h. nicht mehr in den Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren (dann Tatbestandsirrtum, § 16 I StGB)
- Kriterien ähnlich wie bei der Bestimmung, ob ein atypischer Kausalverlauf im Rahmen der objektiven Zurechnung vorliegt, daher regelmäßig auch kein Irrtum über den Kausalverlauf, wenn kein atypischer Kausalverlauf
- Beispiele
- z.B. „Jauchegrubenfall“: Täter stopft Opfer mit Tötungsvorsatz zwei Hände voll Sand in den Mund, hält es irrtümlich für tot und versenkt die „Leiche“ in einer Jauchegrube; Opfer lebte aber noch, stirbt erst durch Ertrinken ⇨ kein wesentliches Abweichen, da kein anderes Unrechtsgepräge ⇨ nur an erste Tat angeknüpft ⇨ Totschlag bereits durch Stopfen des Sandes, Versenken als fahrlässige Tötung tritt als mitbestrafte Begleittat dahinter zurück
- z.B. „Scheunenmordfall“: Nach Schlag mit Eisenstange auf Kopf des Opfers hält Täter Opfer für tot; dann entdeckt, dass noch lebend und getötet ⇨ kein wesentliches Abweichen, da kein anderes Unrechtsgepräge ⇨ nur an erste Tat angeknüpft ⇨ heimtückischer Mord bereits durch Schlag mit der Eisenstange, nicht versuchter Mord in Tatmehrheit mit vollendetem Totschlag
- z.B. nachfolgender Tatvorsatz: Opfer bewusstlos geschlagen, erstickt am Essen in seinem Hals; Täter hält Opfer aber für lebendig (nur bewusstlos) und schneidet Leiche mit bedingtem Tötungsvorsatz die Genitalien ⇨ wesentliches Abweichen, da Reihenfolge umgekehrt als vorgestellt ⇨ Körperverletzung mit Todesfolge durch Schläge (zum Zeitpunkt des Todes kein Tötungsvorsatz) und versuchter Totschlag durch Abschneiden (untauglicher Versuch)
Wie verhält es sich, wenn sich der Täter über die Auslegung von auslegungsbedürftigen Tatbestandsmerkmalen irrt?
Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale: Irrtum über nach wertender Betrachtung auslegungsbedürftige Tatbestandsmerkmale; z.B. Fremdheit der Sache, Gewahrsam oder Rechtswidrigkeit der Zueignung beim Diebstahl
- Irrtum innerhalb der Parallelwertung in Laiensphäre: Täter hat nicht einmal laienmäßig Unrecht erkannt; z.B. glaubt Geldschuld sei Stückschuld
- Tatbestandsirrtum, § 16 I StGB
- Irrtum außerhalb der Parallelwertung in Laiensphäre: z.B. erkennt laienmäßig, dass Strichliste auf Bierdeckel dem Beweis der Anzahl der getrunkenen Biere dient, aber hält Urkunden nur für unterschriebene Dokumente
- Als Subsumtionsirrtum handelt es sich um einen Verbotsirrtum, § 17 StGB
Wie verhält es sich, wenn sich der Täter über privilegierende Tatumstände irrt?
Tatbestandsirrtum über privilegierende Tatumstände, § 16 II StGB: Sonderfall des Tatbestandsirrtums über das Vorliegen tatsächlicher Umstände, die zu einer Privilegierung führen würden
- Täter wegen des privilegierten Delikts betraft
- Ggf. zusätzlich Fahrlässigkeitsdelikt bzgl. des schwereren Delikts
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T gibt M klare Anweisungen, eine bestimmte Person zu töten, die er ihm genau beschreibt. M verwechselt das Opfer versehentlich trotzdem und tötet eine andere Person. Welche Aussagen sind zutreffend?
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Ziad T.
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