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Verbraucherwiderruf, § 355 BGB
Was versteht man unter dem Verbraucherwiderruf?
Der Widerruf nach § 355 BGB ist ein einseitiges Lösungsrecht des Verbrauchers vom Vertrag. Es handelt sich um eine rechtsvernichtende Einwendung, die für den Verbraucher einfach auszuüben ist. Oft steht der Verbraucherwiderruf neben und unabhängig von anderen Rechten zur Verfügung.
Ein typisches Beispiel ist der Online-Kauf: Hast du etwas über das Internet bestellt, kannst du den Vertrag innerhalb der gesetzlichen Widerrufsfrist widerrufen. Die Ausübung des Widerrufs erfolgt durch eine einfache Erklärung gegenüber dem Unternehmer – eine Begründung ist nicht erforderlich.
Wichtig ist die Abgrenzung zum allgemeinen Widerruf von Willenserklärungen nach § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB. Dieser bezieht sich auf jede empfangsbedürftige Willenserklärung und ermöglicht deren Widerruf, wenn die Widerrufserklärung spätestens gleichzeitig mit der Willenserklärung beim Empfänger eingeht. Der Verbraucherwiderruf hingegen kann auch nach Zugang der Willenserklärung ausgeübt werden und ist an gesetzlich geregelte Fristen gebunden.
Der Verbraucherwiderruf ist also ein spezielles, einseitiges Lösungsrecht für Verbraucher vom Vertrag, das einfach ausgeübt werden kann und oft neben anderen Rechten besteht.
Verbraucherwiderruf, § 355 BGB: Einseitiges Lösungsrecht des Verbrauchers vom Vertrag (rechtsvernichtende Einwendung), einfach auszuüben, oft neben und unabhängig von anderen Rechten
- Allgemeine Widerrufsmöglichkeit empfangsbedürftiger Willenserklärungen, § 130 I 2 BGB: Jede empfangsbedürftige Willenserklärung kann zurückgenommen werden, wenn spätestens mit Zugang der Willenserklärung Widerruf zugeht
Welche Rechtsfolgen hat der Verbraucherwiderruf? Können bereits erbrachte Leistungen nach Bereicherungsrecht herausgefordert werden?
Der Verbraucherwiderruf hat weitreichende Rechtsfolgen. Zunächst einmal erlöschen durch den Widerruf alle noch unerfüllten Leistungspflichten aus dem Vertrag. Der Widerruf wirkt also als rechtsvernichtende Einwendung.
Darüber hinaus wandelt sich der Vertrag durch den Widerruf in ein sogenanntes Rückgewährschuldverhältnis um, wie es in § 355 Absatz 3 Satz 1 BGB geregelt ist. Das bedeutet, dass bereits erbrachte Leistungen von beiden Seiten zurückzugewähren sind.
Dabei ist wichtig zu verstehen, dass das Schuldverhältnis durch den Widerruf nicht komplett wegfällt. Es besteht vielmehr als Rückgewährschuldverhältnis fort. Das hat zur Folge, dass die bereits erbrachten Leistungen nicht nach den Regeln der Leistungskondiktion aus § 812 Absatz 1 Satz 1 Alternative 1 BGB herausgefordert werden können. Denn durch das fortbestehende Rückgewährschuldverhältnis gibt es weiterhin einen Rechtsgrund für die bereits erbrachten Leistungen. Die Rückgewähr erfolgt daher ausschließlich nach den Vorschriften der §§ 355 ff. BGB.
Der Verbraucherwiderruf führt also nicht zu einem vollständigen Wegfall des Schuldverhältnisses, sondern zu dessen Umwandlung in ein Rückgewährschuldverhältnis.
Rechtsfolgen
- Erlöschen unerfüllter Leistungspflichten (rechtsvernichtende Einwendung)
- Umwandlung des Vertrages in Rückgewährschuldverhältnis, § 355 III 1 BGB: Bereits erbrachte Leistungen zurückzugewähren
- Kein Wegfall des Schuldverhältnisses: Schuldverhältnis besteht als Rückgewährschuldverhältnis fort
- Keine Leistungskondiktion, § 812 I 1 Alt. 1 BGB, da Schuldverhältnis fortbesteht, und weiterhin Rechtsgrund für bereits erbrachte Leistungen ist; Rückgewähr nur gem. §§ 346 ff. BGB
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Welche Struktur hat das Verbraucherwiderrufsrecht?
Die Struktur des Verbraucherwiderrufsrechts ist wie folgt aufgebaut:
Die Grundnorm bildet § 355 BGB, der die allgemeinen Regeln für den Widerruf festlegt. Hier wird geregelt, dass der Verbraucher ein einseitiges Lösungsrecht vom Vertrag hat, welches durch eine einfache Erklärung innerhalb der gesetzlichen Frist ausgeübt werden kann.
Darüber hinaus enthalten die §§ 356 ff. BGB spezielle Voraussetzungen für bestimmte Vertragstypen wie Fernabsatzverträge. Relevant sind hier insbesondere abweichende Widerrufsfristen.
Die §§ 357 ff. BGB regeln schließlich abweichende Rechtsfolgen eines Widerrufs in bestimmten Fällen wie Fernabsatzverträgen. Diese Normen bestimmen, wie die Rückabwicklung des Vertrags zu erfolgen hat. Dazu gehören Rückgewährfristen, mögliche Wertersatzpflichten des Verbrauchers und auch Regelungen zur Rückzahlungspflicht des Unternehmers.
Ein Beispiel: Beim Widerruf eines Fernabsatzvertrags gem. §§ 355, 357 BGB greifen zunächst die Grundsätze aus § 355 BGB. Ergänzend sind aber auch die besonderen Voraussetzungen aus § 356 BGB und die speziellen Rechtsfolgen aus § 357 BGB zu beachten.
Struktur des Verbraucherwiderrufsrechts
- Grundnorm, § 355 BGB
- Besondere Voraussetzungen, §§ 356 ff. BGB: Insb. abweichende Widerrufsfristen
- Besondere Rechtsfolgen, §§ 357 ff. BGB: Insb. abweichende Rückgewährfristen, Wertersatz, etc.
- z.B. Widerruf Fernabsatzvertrag, §§ 355, 357 BGB, mit abweichenden Voraussetzungen in § 356 BGB
Unter welchen Voraussetzungen kann ein Verbraucher den Vertrag widerrufen?
Ein Verbraucher kann einen Vertrag nur unter bestimmten Voraussetzungen wirksam widerrufen. Diese Voraussetzungen lassen sich in drei wesentliche Schritte gliedern:
Erstens muss es sich um einen Verbrauchervertrag handeln, also einen Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher gemäß § 310 Abs. 3 BGB. Das betrifft also alle Verträge, die du als Privatperson mit einem Unternehmen abschließt.
Zweitens muss ein Widerrufsrecht bestehen. Dieses ergibt sich zum einen aus Normen zum Schutz aufgrund besonderer Vertriebsformen, die sich im allgemeinen Schuldrecht finden. Dazu zählen Verträge, die außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen werden, wie beispielsweise Haustürgeschäfte nach § 312b BGB, für die ein Widerrufsrecht gemäß § 312g BGB besteht. Ebenso ist der Fernabsatzvertrag relevant, geregelt in § 312c BGB, der ebenfalls ein Widerrufsrecht nach § 312g BGB einräumt.
Ein anderer Schutzgrund ergibt sich durch besondere Vertragstypen, die im besonderen Schuldrecht normiert sind. Verbraucherdarlehensverträge nach § 491 BGB können gemäß § 495 BGB widerrufen werden. Bei entgeltlichen Finanzierungshilfen, einschließlich Leasing gemäß § 506 Abs. 2 BGB und Teilzahlungsgeschäfte nach §§ 507, 506 Abs. 3 BGB, ist ein Widerruf nach §§ 506 Abs. 1, 495 BGB möglich. Auch bei Ratenlieferungsverträgen nach § 510 BGB besteht ein Widerrufsrecht gemäß § 510 Abs. 2 BGB. Ähnlich verhält es sich mit Teilzeit-Wohnrechteverträgen, dem sogenannten time-sharing, gemäß §§ 481-481b BGB, die aus § 485 BGB widerrufen werden können. Verbrauchsgüterkäufe gemäß §§ 474 ff. BGB haben kein eigenes Widerrufsrecht, jedoch eventuell ergibt sich bei ihnen eventuell eines aus § 312g BGB, zum Beispiel, wenn ein Fernabsatzvertrag vorliegt.
Drittens ist eine Widerrufserklärung erforderlich. Diese muss gemäß § 355 Abs. 1 S. 2, S. 3, S. 4 BGB erfolgen. Du musst dem Unternehmer mitteilen, dass du den Vertrag widerrufen möchtest, was in Textform geschehen sollte, um Beweise zu sichern.
Viertens ist die Widerrufsfrist zu beachten. Diese beginnt grundsätzlich mit dem Vertragsschluss, § 355 Abs. 2 S. 2 BGB. Allerdings beginnt die Frist nicht vor Zugang einer Widerrufsbelehrung zu laufen, § 356 Abs. 3 S. 1, 2 BGB. Die Dauer der Frist beträgt bei ordnungsgemäßer Belehrung nach § 355 Abs. 2 S. 1 BGB normalerweise 14 Tage. Wenn keine ordnungsgemäße Belehrung erfolgt, verlängert sich die Frist auf 12 Monate und 14 Tage gemäß § 356 Abs. 3 S. 2 BGB. Bei Verbraucherdarlehensverträgen ohne Pflichtangaben ist einen Monat Zeit, gerechnet ab Nachbelehrung, § 356b Abs. 2 S. 2 BGB. Für digitale Inhalte gemäß § 356 Abs. 5 BGB beginnt die Frist, sobald die Bereitstellung erfolgt ist und der Verbraucher zugestimmt hat.
Präge dir ein: Ein wirksamer Widerruf setzt einen Verbrauchervertrag, ein Widerrufsrecht und eine Widerrufserklärung innerhalb der Widerrufsfrist voraus.
Voraussetzungen
- Verbrauchervertrag gem. § 310 III BGB: Verträge zwischen Unternehmer und Verbraucher
- Widerrufsrecht
- Schutz aufgrund besonderer Vertriebsformen (Normen des allgemeinen Schuldrechts)
- Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge / Haustürgeschäft, § 312b BGB ⇨ Widerrufsrecht aus § 312g BGB
- Fernabsatzverträge, § 312c BGB ⇨ Widerrufsrecht aus § 312g BGB
- Elektronischer Geschäftsverkehr, § 312i BGB: Kein eigenes Widerrufsrecht (aber evtl. aus § 312g BGB)
- Schutz aufgrund besonderen Vertragstyps (Normen des besonderen Schuldrechts)
- Verbraucherdarlehen, § 491 BGB ⇨ Widerrufsrecht aus § 495 BGB
- Entgeltliche Finanzierungshilfen, § 506: Inkl. Leasing, § 506 II BGB; Teilzahlungsgeschäft, §§ 507, 506 III BGB ⇨ Widerrufsrecht aus §§ 506 I, 495 BGB
- Ratenlieferungsvertrag, § 510 BGB ⇨ Widerrufsrecht aus § 510 II BGB
- Teilzeit-Wohnrechtevertrag („time-sharing“) und weitere, §§ 481-481b BGB ⇨ Widerrufsrecht aus § 485 BGB
- Verbrauchsgüterkauf, §§ 474 ff. BGB: Kein eigenes Widerrufsrecht (aber evtl. aus § 312g BGB)
- Widerrufserklärung, § 355 I 2, 3, 4 BGB
- Widerrufsfrist
- Fristbeginn
- Grds. mit Vertragsschluss, § 355 II 2 BGB
- Jedoch nicht vor Widerrufsbelehrung, § 356 III 1, 2 BGB
- Fristdauer
- Bei ordnungsgemäßer Belehrung, § 355 II 1 BGB: Grds. 14 Tage
- Keine ordnungsgemäße Belehrung, § 356 III 2 BGB: 12 Monate und 14 Tage
- Verbraucherdarlehensvertrag ohne Pflichtangaben, § 356b II 2 BGB: Ein Monat gerechnet ab Nachbelehrung
- Digitale Inhalte, § 356 V BGB: Nach Bereitstellung, wenn Verbraucher zugestimmt
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A ist hobbymäßig Fahrradfahrer. Er kauft sich bei Einzelhändler E über dessen Website ein Rad. Eine Woche später bereut er den Kauf. Das Geld benötigt er dringend für andere Anschaffungen. Im Internet stand zudem, das Rad sei straßenverkehrstauglich, tatsächlich fehlen aber Reflektoren, die E trotz mehrfacher Aufforderung nicht nachliefert. Kann sich A ggf. vom Vertrag lösen?
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Ziad T.
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