- Zivilrecht
- Schuldrecht Allgemeiner Teil
- Das Schuldverhältnis
Vorvertragliche Schuldverhältnisse, § 311 II BGB
Was versteht man unter der c.i.c.?
Schon bevor ein Vertrag abgeschlossen wird, können zwischen den Beteiligten rechtliche Verpflichtungen entstehen. Dieses vorvertragliche Schuldverhältnis wird als culpa in contrahendo, kurz c.i.c., oder Verschulden bei Vertragsschluss bezeichnet und ist in § 311 Abs. 2 BGB geregelt. Die Grundidee dahinter ist, dass sich die potenziellen Vertragspartner bereits in einer besonderen Nähebeziehung zueinander befinden, sobald ernsthafte Verhandlungen oder eine Vertragsanbahnung beginnen. In dieser Phase darf jeder darauf vertrauen, dass die andere Partei die gebotene Sorgfalt beachtet. Ein vorvertragliches Schuldverhältnis begründet daher Schutzpflichten, die darauf abzielen, Schäden zu vermeiden.
Kurz gesagt: Schon bei der Vertragsanbahnung bestehen Schutzpflichten, die eine Haftung nach c.i.c. begründen können.
Vorvertragliche Schuldverhältnisse / culpa in contrahendo (cic / c.i.c.) / Verschulden bei Vertragsschluss, § 311 II BGB
- Bereits bei Vertragsanbahnung begeben sich potenzielle Vertragspartner in Reichweite der anderen Partei und dürfen auf deren Sorgfalt vertrauen
- Vorvertragliche Schutzpflichten: z.B. Supermarktbetreiber muss verletzungsfreien Zugang zu Sortiment gewähren
Welche Rechtsfolgen hat ein vorvertragliches Schuldverhältnis?
Ein vorvertragliches Schuldverhältnis nach § 311 Abs. 2 BGB begründet Schutzpflichten nach § 241 Abs. 2 BGB. Das bedeutet, dass sich die Beteiligten so verhalten müssen, dass sie die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen nicht verletzen. Ein klassisches Beispiel ist die Pflicht eines Verkäufers, Kunden in seinem Geschäft vor Gefahren zu schützen, etwa indem er dafür sorgt, dass keine rutschigen Böden oder andere Gefahrenquellen bestehen.
Wichtig ist, dass vorvertraglich keine Leistungspflichten bestehen. Es gibt also keine Pflicht, die Vertragsleistung schon zu erbringen, bevor der Vertrag geschlossen ist. Die Schutzpflichten betreffen nur die Rücksichtnahme auf den anderen. Wenn eine Schutzpflicht verletzt wird, kann das zu einem Schadensersatzanspruch aus culpa in contrahendo (c.i.c.) führen. Dieser ergibt sich aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB.
Präg dir ein: Schon vor Vertragsschluss besteht gegebenenfalls ein vorvertragliches Schuldverhältnis mit Schutzpflichten, deren Verletzung zu Schadensersatz nach culpa in contrahendo führen kann.
Rechtsfolgen
- Bestehen von Schutzpflichten aus § 241 II BGB
- Leistungspflichten: Vorvertraglich bestehen nur Schutzpflichten
- Bei Verletzung der Schutzpflichten ggf. Schadensersatz aus c.i.c., §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB („Linoleumrollen-Fall“)
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Was musst du über die geschichtliche Entwicklung der c.i.c. wissen? Stand sie schon immer im Gesetz?
Die culpa in contrahendo, kurz c.i.c., ist heute in § 311 Abs. 2 BGB gesetzlich geregelt. Doch das war nicht immer so. Ursprünglich war sie nicht ausdrücklich im Gesetz enthalten, sondern musste praeter legem von der Rechtswissenschaft und der Rechtsprechung entwickelt werden. Besonders ein Name ist mit der Entdeckung der c.i.c. verbunden: Rudolf von Ihering (gesprochen Rudolf von „Jering“). Er erkannte, dass bereits in der Vertragsanbahnung Schutzpflichten bestehen können, aus denen sich Schadensersatzansprüche ergeben können, wenn eine Partei gegen Treu und Glauben verstößt.
Auch die Rechtsprechung erkannte die c.i.c. an und entwickelte sie weiter. Ein bekanntes Beispiel ist der sogenannte Linoleumrollen-Fall. Darin verletzte ein Verkäufer versehentlich eine Kundin und ihr Kind beim Vorzeigen einer eines gerollten Linoleumteppichs. Das Reichsgericht nahm ein vorvertragliches Schuldverhältnis an und bejahte eine Haftung des Warenhauses.
Lange Zeit war die c.i.c. also eine von der Rechtsprechung und Wissenschaft anerkannte, aber nicht gesetzlich geregelte Rechtsfigur. Das änderte sich mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz im Jahr 2002. Seitdem ist sie ausdrücklich in § 311 Abs. 2 BGB kodifiziert. Damit wurde vom Gesetzgeber positiv klargestellt, dass vorvertragliche Schuldverhältnisse bestehen können und daraus auch Pflichten resultieren.
Kurz gesagt: Die c.i.c. war ursprünglich nicht gesetzlich geregelt, sondern wurde von Rudolf von Ihering und der Rechtsprechung entwickelt, bevor sie 2002 ins BGB aufgenommen wurde.
Rechtsgeschichte: Praeter legem entdeckt von Rudolf von Ihering (gesprochen Rudolf von „Jering“) und Rspr. („Linoleumrollen-Fall“); durch Schuldrechtsmodernisierungsgesetz seit 2002 im BGB kodifiziert
Welche Voraussetzungen hat die c.i.c.?
Ein vorvertragliches Schuldverhältnis kann sich nach der Konzeption des § 311 Abs. 2 BGB in drei Konstellationen ergeben.
Erstens bei Vertragsverhandlungen nach § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Sobald Verhandlungen über einen Vertrag beginnen, entsteht ein vorvertragliches Schuldverhältnis zwischen den Parteien. Das gilt von der ersten Kontaktaufnahme bis zu einem möglichen Abbruch der Verhandlungen oder dem endgültigen Vertragsschluss. Ein Beispiel: Du willst eine Wohnung mieten und besichtigst sie mit dem Vermieter. Selbst wenn du dich am Ende gegen die Wohnung entscheidest, bestand während der Besichtigung ein vorvertragliches Schuldverhältnis.
Zweitens kann ein solches Schuldverhältnis durch eine Vertragsanbahnung nach § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB entstehen. Hier ist keine konkrete Kaufabsicht erforderlich, es genügt, dass eine Person mit der Möglichkeit eines Vertragsschlusses in Kontakt kommt. Allerdings darf der Kontakt nicht zu völlig geschäftsfremden Zwecken erfolgen. Ein klassisches Beispiel ist der Kunde, der einen Laden betritt, um sich umzusehen. Er muss nichts kaufen, aber das Betreten des Geschäfts begründet bereits eine gewisse Schutzpflicht des Geschäftsinhabers. Anders wäre es jedoch bei geschäftsfremden Zwecken, also wenn jemand den Laden betritt, um etwas zu stehlen oder um sich lediglich vor Regen unterzustellen – dann fehlt es an einer geschäftlichen Vertragsanbahnung.
Drittens gibt es ähnliche geschäftliche Kontakte nach § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB. Das betrifft Fälle, die nicht unter die ersten beiden Kategorien fallen, aber dennoch eine rechtliche Beziehung begründen. Zum Beispiel, wenn ein Vertrag später als unwirksam erweist, aber dennoch bereits ein geschäftlicher Kontakt bestand. Weitere Beispiele sind das Gefälligkeitsverhältnis mit rechtsgeschäftlichem Einschlag oder geschäftliche Kontakte, die noch so weit im Vorfeld liegen, dass § 311 Abs. 2 Nr. 2 noch nicht einschlägig ist oder gar nicht unmittelbar auf einen Vertragsschluss abzielen, wie etwa die Erteilung einer geschäftlichen Auskunft.
Die drei Tatbestandsvarianten überschneiden sich und lassen sich nicht immer trennscharf voneinander abgrenzen.
Voraussetzungen
- Vertragsverhandlung, § 311 II Nr. 1 BGB: Beginn Verhandlung bis Abbruch oder Vertragsschluss
- Vertragsanbahnung, § 311 II Nr. 2 BGB: Keine Kaufabsicht nötig, aber nicht geschäftsfremde Zwecke (z.B. Dieb oder Betreten eines Ladens wegen Schutzsuche vor Regen)
- Ähnliche geschäftliche Kontakte, § 311 II Nr. 3 BGB: z.B. unwirksamer Vertrag; z.B. Gefälligkeitsverhältnis mit rechtsgeschäftlichem Einschlag; z.B. so weit im Vorfeld des Vertragsschlusses, dass noch nicht Nr. 2; z.B. geschäftliche Kontakte, die nicht auf Vertrag abzielen (z.B. Auskunft)
- Zwischen den Tatbestandsvarianten bestehen Überschneidungen, nicht trennscharf abgrenzbar
Können auch Dritte (nicht potenzielle Geschäftspartner) von den Schutzpflichten geschützt sein?
Grundsätzlich wirken vorvertragliche Schuldverhältnisse nur zwischen den potenziellen Geschäftspartnern. Die Schutzpflichten, die sich aus § 311 Abs. 2 BGB ergeben, betreffen also normalerweise nur die Personen, die unmittelbar miteinander in Vertragsverhandlungen stehen oder in eine ähnliche geschäftliche Kontaktaufnahme treten. Doch gibt es Ausnahmen, in denen auch Dritte geschützt sein können.
Aufseiten des Gläubigers kann eine Einbeziehung Dritter nach den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter erfolgen, wenn deren Voraussetzungen erfüllt sind, also wenn die dritte Person in gleicher Weise gefährdet ist wie der eigentliche Vertragspartner nach Vertragsschluss. Würde man sie vom Schutz ausnehmen, hinge ihre rechtliche Absicherung vom Zufall ab – nämlich davon, ob sich der Unfall vor oder nach Abschluss eines Vertrags ereignet. Daher haftet der Geschäftsinhaber auch vorvertraglich gegenüber dieser Person. Ein berühmtes Beispiel hierfür ist der sogenannte Salatblatt-Fall. Stell dir vor, eine Mutter betritt mit ihrem Kind einen Supermarkt, um einzukaufen. Das Kind begleitet sie lediglich, weil es betreut werden muss, ohne selbst eine Kaufabsicht zu haben. In den Geschäftsräumen rutscht das Kind auf einem nicht weggeräumten Salatblatt aus und verletzt sich. Obwohl es selbst kein potenzieller Vertragspartner ist, haftet der Supermarktbetreiber dennoch für den Schaden. Die Rechtsprechung bejaht hier eine Einbeziehung des Kindes in das vorvertragliche Schutzverhältnis, weil es sich in der gleichen Gefahrenlage befindet wie die Mutter, die als Käuferin auf sichere Geschäftsräume vertrauen darf.
Auch aufseiten des Schuldners kann ausnahmsweise eine Einbeziehung Dritter über § 311 Abs. 3 BGB erfolgen. Dieser regelt die Dritthaftung für vorvertragliche Schuldverhältnisse. Das kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn ein Vertreter oder ein Verhandlungsgehilfe eines Unternehmens gegenüber dem potenziellen Geschäftspartner eine falsche oder fahrlässige Erklärung abgibt und dadurch einen Schaden verursacht. Wenn diese Person in besonderem Maße Vertrauen in Anspruch genommen hat oder wesentlichen Einfluss auf die Vertragsverhandlungen hatte, kann sie selbst für ihr Verhalten in Anspruch genommen werden, obwohl sie nicht selbst Vertragspartei werden sollte.
Zentral ist also, dass eine Einbeziehung Dritter auch vorvertraglich ausnahmsweise möglich ist, wenn eine vergleichbare Gefährdung oder ein besonderes Vertrauen besteht.
Einbeziehung Dritter: Wirkung grds. nur zwischen potenziellen Geschäftspartnern
- Ausnahmsweise auf Gläubigerseite: Nach Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter („Salatblatt-Fall“), da genauso gefährdet wie durch Fehlverhalten nach Vertragsschluss (sonst Schutz vom Zufall abhängig)
- Ausnahmsweise auf Schuldnerseite: Durch Dritthaftung nach § 311 III BGB
Ist auch im Rahmen der c.i.c. ein Rücktritt möglich?
Grundsätzlich ist ein Rücktritt nach den §§ 323, 324 BGB nur bei einem bestehenden Schuldverhältnis möglich. Vorvertragliche Schuldverhältnisse nach § 311 Abs. 2 BGB sind jedoch gerade noch keine vollständigen Verträge. Dennoch wird vertreten, dass ein Rücktritt analog § 324 BGB möglich sein soll. Der Gedanke dahinter ist, dass es nicht nachvollziehbar wäre, wenn nur bei einer nachträglichen Schutzpflichtverletzung – also nach Vertragsschluss – ein verschuldensunabhängiges Recht zur Rückgängigmachung bestünde, nicht aber bei einer Verletzung bereits im vorvertraglichen Stadium.
„Rücktritt von c.i.c.“
- Rücktritt möglich analog § 324 BGB
- Nicht einsichtig, dass nur nachträgliche Schutzpflichtverletzung verschuldensunabhängiges Recht zur Rückgängigmachung
Welche Besonderheit gilt bei einer Probefahrt vor einem Autokauf?
Wenn jemand in einem Autohaus vor dem eigentlich Kauf eine Probefahrt macht, stellt sich die Frage, wer haftet, falls während der Fahrt ein Schaden am Fahrzeug entsteht. Grundsätzlich könnte man davon ausgehen, dass der Kaufinteressent als Fahrer für Schäden haftet nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo. Allerdings hat die Rechtsprechung hier eine Besonderheit anerkannt.
Nach ständiger Rechtsprechung wird bei einer Probefahrt im Autohaus ein stillschweigender Haftungsausschluss beziehungsweise eine konkludente Haftungsbeschränkung zugunsten des Kaufinteressenten angenommen. Das bedeutet, dass der Käufer im Regelfall nicht für Schäden am Fahrzeug aufkommt, sofern kein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten vorliegt. Diese Annahme beruht darauf, dass das Autohaus ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Probefahrt hat, da sie potenzielle Käufer von einem Fahrzeug überzeugen soll.
Bei einer Probefahrt im Autohaus wird also regelmäßig ein stillschweigender Haftungsausschluss zugunsten des Kaufinteressenten angenommen.
Probefahrt vor Autokauf: Insb. im Autohaus
- Von Rspr. stillschweigender Haftungsausschluss / konkludente Haftungsbeschränkung zugunsten des Kaufinteressenten angenommen
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